Steile Lernkurve in der Krise

Sticky Notes zur Dokumentation
Sticky Notes können zur Dokumentation eines Brainstormings dienen
Agile Methoden in der Ausbildung sind kein neumodischer Schnickschnack, sondern helfen, schnell Lösungen für neue Herausforderungen zu finden. Diese Erfahrung machen derzeit viele Ausbilder.
Sabine Schritt
Sabine Schritt
Freie Journalistin

Die Corona-Krise zwingt Unternehmen, die Ausbildung agiler zu gestalten. Das beobachtet Josef Buschbacher, der mit seinem Unternehmen Smadias – Deutsche Ausbilderakademie, seit vielen Jahren Ausbilder weiterbildet und berät. „Zwar haben sich viele Ausbilder schon vor der Krise mehr agile Methoden in der Ausbildung gewünscht, sich aber damit doch sehr schwergetan“, weiß der Experte. „Nur einige dutzend Unternehmen haben tatsächlich agile Formate in der Ausbildung implementiert.“

Josef Buschbacher, Deutsche Ausbilderakademie

Die Ausbilder müssen ihre Gestaltungsmöglichkeiten erkennen und nutzen.“

Josef Buschbacher, Deutsche Ausbilderakademie

Ein „Ausbildungsturbo“, der zum Ziel führt

Die Lernkurve, die viele Ausbilder seit der Corona-Krise durchleben, sei dementsprechend steil. „In manchen Unternehmen waren 600 bis 1200 Azubis plötzlich im Homeoffice. Über Nacht seien die Ausbilder mit vielen Fragen konfrontiert gewesen und hätten erfahren: „Agiles Arbeiten heißt auch, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern mit den verfügbaren Mitteln schnell Lösungen für neue Herausforderungen zu finden.“

In den meisten Unternehmen musste das virtuelle Lernen organisiert werden, aber auch Fragen zu virtuellem Onboarding mit Blick auf den Ausbildungsstart im Sommer und virtueller Führung haben Buschbacher aus den Ausbildungsbereichen der Unternehmen erreicht. „Die größte Herausforderung war zunächst, aus Ausbildern schnellstmöglich gute Webinar-Trainer zu machen“, so Buschbacher. Dabei sei er auf verschiedene Welten gestoßen. „Während die einen Ausbilder sich gerne in stabiler und sicherer Umgebung bewegen und sich schnell wieder den Zustand von vor der Krise herbeiwünschen, sehen andere die Krise als einen Ausbildungsturbo in Sachen Digitalisierung und Agilität, der sie den gewünschten Zielen näherbringt.“

Gemeinsam schnell gelernt

Offen für Veränderungen in der Krise war man auch bei den Stadtwerken Hanau, „obwohl es uns schon ein bisschen kalt erwischt hat“, erzählt die Personalreferentin für Personalentwicklung und Nachwuchsförderung Nina Weisenstein. Man sei vor Corona „so halb digital unterwegs gewesen“. Als sich Mitte März der Lockdown abzeichnete, habe man mit den zehn Azubis gemeinsam einen schnellen Lernprozess durchlaufen. Weisenstein war positiv überrascht, wie problemlos die Umstellung funktionierte. „Wir sind ein systemrelevanter Energieversorgungsbetrieb, und auch unsere Azubis waren sich ihrer Verantwortung für einen reibungslosen Betrieb bewusst“. Die Azubis waren von der betrieblichen Anwesenheit freigestellt und haben im Homeoffice an Arbeitsaufträgen von ihren Fachausbildern gearbeitet. Die Ergebnisse haben die jungen Leute dann online allen Kollegen aus den Fachbereichen präsentiert. Kein Lernstoff sei verloren gegangen. Für diejenigen, die eigentlich in der Berufsschule oder in der Verbundausbildung hätten sein müssen, sei von den Bildungseinrichtungen ein vorbildliches Homeschooling durchgeführt worden.

Portrait Nina Weisenstein

Die Einsicht, dass es wichtig ist, flexibel arbeiten zu können und auf verschiedene Situationen vorbereitet zu sein, wird uns sicherlich weiter begleiten.“

Nina Weisenstein, Stadtwerke Hanau

Den Kontakt nicht verlieren

Die Azubimeetings fanden virtuell statt, es gab gemeinsame Telefon- und Videokonferenzen und fixe tägliche Austauschtermine. Zudem haben die Azubis gemeinsam virtuell an berufsübergreifenden Projekten gearbeitet. „Wir haben nie den Kontakt zueinander verloren“, berichtet Weisenstein, die sehr stolz ist auf ihre Azubis, denn sie habe stets auf sie zählen können. „Das hat uns zusammengeschweißt und die Vertrauensbasis enorm gestärkt.“ Die Krise hat im Unternehmen einiges in Bewegung gebracht. Der gemeinsame, digitale Lern- und Projektaustausch solle auf jeden Fall beibehalten und ausgebaut werden, beispielsweise denkbar in einer Cloud oder auf einer Plattform. Mittlerweile sind alle Azubis wieder im Betrieb. „Doch die Einsicht, dass es wichtig ist, flexibel arbeiten zu können und auf verschiedene Situationen vorbereitet zu sein, wird uns sicherlich weiter begleiten. Dieser Fokus ist gerade in der Ausbildung zentral, um junge Menschen auf die komplexe Arbeitswelt bestmöglich vorzubereiten“, betont die Personalerin.

Gestaltungsspielraum nutzen

„Der Veränderungsdruck in der Ausbildung ist durch die Krise gestiegen. Unternehmen prüfen jetzt, welche Methoden für sie auch in Zukunft sinnvoll sind“, stellt Buschbacher fest. Die Rahmenlehrpläne der Kammern böten hierfür genügend Spielraum, wenn sie auch hier und da verbesserungswürdig seien. „Die Ausbilder müssen ihre Gestaltungsmöglichkeiten erkennen und nutzen“, fordert Buschbacher. Doch leider würden sich manche Ausbilder hinter den Lehrplänen regelrecht verstecken, dabei müssten Prüfungsvorbereitungen nach Lehrplan und agile Methoden nicht im Widerspruch zueinander stehen. So gebe es beispielsweise in manchen Unternehmen Azubi-Labs, in denen neue Ideen für das Unternehmen entstehen. Meist werden Teile von Design Thinking oder Scrum genutzt, um die Arbeit zu verteilen, Erkundungsaufträge zu erörtern oder Projekte durchzuführen. Persona-Modelle eigneten sich zum Beispiel sehr gut dazu, ein Verständnis für unterschiedliche Kunden oder Kundengruppen aufzubauen, um dann die Kommunikation anzupassen oder im Sinne von User oder Customer Experience neue Produkte und Dienstleistungen in der Ausbildung zu erfinden.

Bis jedoch eine nennenswerte Zahl an agilen Ausbildungen zu verzeichnen sind, werde es wohl noch einige Zeit brauchen. Immer noch arbeite die Mehrzahl der Unternehmen in der Ausbildung ganz klassisch und wünsche sich den alten Zustand zurück, bedauert Buschbacher. „Ich hoffe aber, dass viele Ausbilder durch die Krise erfahren haben, dass Agilität in der Ausbildung nicht nur neumodischer Schnickschnack, sondern ein gekonnter Umgang mit ständiger Veränderung durchaus erfolgsentscheidend ist.“

So werden Ihre Azubis agil!

Agilität ist die Fähigkeit, flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Eigeninitiative auf Veränderungsdruck und Unsicherheiten zu reagieren. Hier finden Sie einige Expertentipps von Josef Buschbacher für agiles Arbeiten in der Ausbildung:

  • Agiles Arbeiten braucht eine entsprechende Grundhaltung mit gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung
  • Prüfen Sie, welche externen und internen Einflüsse sich auf Ihren Ausbildungsalltag auswirken. Dies können Regulierungsvorgaben oder bestimmte unternehmensinterne Prozesse oder Belegschaftszusammensetzungen sein
  • Fragen Sie sich im Hinblick auf die Rahmenlehrpläne: Muss ich immer alles auf dieselbe Art und Weise tun? Wo lassen sich in Ihrem Ausbildungsalltag agile Elemente einbauen?
  • Fördern Sie die Selbstlernkompetenz Ihrer Azubis mit digitalen Lernangeboten
  • Schaffen Sie kleine selbstorganisierte Einheiten, zum Beispiel mit agilen Projektteams oder Azubi-Labs, in denen frei mit neuen Ideen an einem gemeinsamen Ziel gearbeitet wird
  • Lassen Sie Ihre Azubis über den Tellerrand in andere Unternehmensbereiche schauen, um Zusammenhänge besser erkennen zu können
  • Stärken Sie das gemeinsame Verantwortungsgefühl und die Eigeninitiative mit Kommunikation auf Augenhöhe
  • Schaffen Sie bei den Azubis Verständnis für das große Ganze durch Einbindung in verschiedene Tätigkeitsbereiche
  • Last but not least: Reflektieren Sie Ihr eigenes Qualifikationsprofil im Hinblick auf New Work. Sind Sie selbst für agile Arbeitsformen, remote Ausbildung und Blended Learning Formate gerüstet?

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