„So gehen unserem Land ­wertvolle Talente verloren“

Asmahan Gamgami ist Beraterin, Hochschuldozentin in Bochum und Gründerin
Als Beraterin, Hochschuldozentin in Bochum und Gründerin bewegt sich Asmahan Gamgami im Spannungsfeld zwischen Diskriminierung und Diversität. Dabei kennt sie beide Seiten des Bewerbungsprozesses. Zum einen hilft sie Unternehmen, Diskriminierung im eigenen Umfeld zu erkennen und sich zu öffnen. Zum anderen unterstützt sie seit 2001 mit ihrem diversitätssensiblen Bewerbungsservice Menschen aus marginalisierten Gruppen bei der Suche nach dem passenden Arbeitgeber. Bei der Baumarkt-Handelskette Obi hat sie in im vergangenen Jahr den Posten der Senior Project Lead Diversity Equity & Inclusion angetreten. © Andreas Wiese
Warum bestimmte Formulierungen in Stellenanzeigen einige Menschen eher abschrecken und was Unternehmen tun sollten, um beim Recruiting möglichst vielfältige Personengruppen anzusprechen, darüber hat POSITION mit der Hochschuldozentin und Gründerin eines diversitätssensiblen Bewerbungsservices Asmahan Gamgami gesprochen.
Agnes Mayer
Agnes Mayer
Freelancerin © Klaus Satzinger-Viel

Frau Gamgami, Sie haben vor Ihrem Studium eine Aus­bildung zur Fremd­sprachen­korrespondentin absolviert. Welche Erfahrungen haben Sie selbst bei der Bewer­bung gemacht?
Asmahan Gamgami: Da es sich um eine schulische Ausbildung handelte, musste ich mich nur um eine begleitende Praktikumsstelle kümmern. Während andere aus meiner Klasse ihr Praktikum im internationalen Management gemacht haben, habe ich mir das einfachste und niedrigschwelligste ausgesucht – ein Übersetzungsbüro. Es hat überhaupt keinen Spaß gemacht, aber ich konnte mir gar nicht vorstellen, für ein cooles internationales Unternehmen zu arbeiten. Weder meine Eltern noch ich hatten einen Zugang zu entsprechenden Angeboten und auch keine Kontakte. Aus meiner Sicht hätte hier schon frühzeitig die Berufsorientierung in der Schule ansetzen müssen. Genau da fängt die strukturelle Diskriminierung nämlich schon an.

War das auch die Idee dahinter, einen diversitätssensiblen Bewerbungsservice zu gründen?
Die entstand erst während meines Studiums in der Sozialpädagogik, das ein unbezahltes Pflichtpraktikum von einem Semester vorsah. Zunächst dachte ich, mit meiner Berufserfahrung habe ich ein leichtes Spiel. Aber nach mindestens hundert Bewerbungen habe ich bemerkt, dass es eben doch kein Selbstläufer ist. Teilweise wurde ich – wie ich später von Dritten erfahren habe und wie auch Studien zu diesen Themen belegen – schon aufgrund meines Namens aussortiert, weil Personalabteilungen der Meinung waren, ich kann nicht gut genug Deutsch. Sie haben sich gar nicht die Mühe gemacht, meine Unterlagen genauer anzusehen. Wenn es aber schon für mich schwer ist, wie ist es dann erst für andere Menschen, die noch schlechtere Voraussetzungen haben? Dieser Gedanken machte mich traurig, und ich habe mir gesagt, das packe ich jetzt an. Für meine Kundinnen und Kunden filtere ich nun Unternehmen heraus, die Diversity auch wirklich ernst nehmen und leben.

Was haben die Menschen, die zu Ihnen kommen, bereits erlebt?
Viele fragen sich: Warum merke ich nichts von diesem Fachkräftemangel? Bei der Expertise müssten sich die Firmen doch um einen reißen. Stattdessen kommt eine Absage nach der anderen. Manche sind sogar schon so weit, wieder in ihre Heimat zurückzugehen oder es in anderen Ländern zu versuchen. Eine Kundin, Anfang 50, musste sich anhören, sie solle sich doch besser um ihre Enkel kümmern. Einer anderen wurde geraten, ihr Kopftuch abzunehmen, um besser vermittelbar zu sein.

Mit einer Ausbildung starten viele junge Menschen ins Berufsleben. Was macht es mit ihnen, wenn sie in dieser frühen Phase ihres beruflichen Werdegangs Diskriminierung erfahren?
An diesem Zeitpunkt fragt man sich, was für einen möglich ist und wie die eigene Zukunft aussehen könnte. Wer sich um eine Ausbildung bemüht und für etwas brennt, dann aber Diskriminierung erfährt, ist frustriert. Das nimmt einem das Streben nach mehr. Man entwickelt das Gefühl, dass das Leben bestimmte Grenzen hat und man nicht darüber hinaus zu träumen braucht. So gehen unserem Land wertvolle Talente verloren.

Neben Ihrem Bewerbungsservice unterstützen Sie Unternehmen dabei, Diskriminierung in Personalprozessen sichtbar zu machen und abzubauen. Worin liegt die Herausforderung?
Viele Unternehmen sagen von sich selbst, wir wollen ja mehr Diversität. Wir wollen mehr Menschen aus marginalisierten Gruppen einstellen. Aber die bewerben sich gar nicht bei uns. Hier gilt es, Verantwortung zu übernehmen und zu hinterfragen: Was machen wir falsch, dass gerade Frauen, Ältere oder Menschen mit Migrationsbiografie nicht unter den Bewerbern sind? Unternehmen, die in einem sehr homogenen Umfeld agieren, sind sich oft gar nicht bewusst, dass sie andere ausschließen – sei es mit Fotos in der Online-Präsenz oder Formulierungen in Stellenanzeigen.

Können Sie da Beispiele nennen?
Eine Internetseite, auf der nur Jungs in Blaumännern zu sehen sind, führt nicht gerade dazu, dass die Quote an Bewerberinnen zunimmt. Denn die fühlen sich schlichtweg nicht repräsentiert. Auch Stellenanzeigen klingen oft sehr harsch. Da werden Wörter benutzt wie „belastbar“ oder „höchst flexibel“ oder es taucht die Formulierung auf „Wir erwarten“ gefolgt von einer ellenlangen Aufzählung. Das schreckt ab. Stattdessen sollte man überlegen, welche Must Haves jemand wirklich mitbringen muss – und was ist wünschenswert. Als Unternehmen sollte man nicht das Gefühl vermitteln, dass man sich auf eine spezielle Gruppe beschränkt, sondern: Hier kann jeder seine Ausbildung machen!

5 Wege zu mehr Diversitätssensibilität von Asmahan Gamgami

  • Vorbilder schaffen: Viele bewerben sich nicht um eine Stelle, weil sie sich selbst darin nicht sehen oder keine Menschen, mit denen sie sich identifizieren. Vorbilder mit einer ähnlichen Geschichte haben hier einen großen Einfluss.
  • Überzeugungsarbeit leisten: Gerade in migrantischen Familien wollen Eltern das Beste für ihr Kind und setzen dies meist mit einem Studium gleich. Die Chancen einer Ausbildung lassen sich zeigen, indem man sie ebenso einmal ins Unternehmen einlädt.
  • Ältere berücksichtigen: Muss ein Azubi immer jung sein und direkt von der Schule kommen? Auch mit 40 Jahren wollen sich manche noch einmal umorientieren. Sie haben eine Chance verdient – alles andere ist Alters­diskriminierung.
  • Kulturelle Brille ablegen: Zuspätkommen wird im westlichen Kontext mit Unzuverlässigkeit assoziiert. In anderen Kulturen werden Deadlines nicht so streng ausgelegt. Daher sollte dies nicht zu sehr die Bewertung beeinflussen.
  • Andere Wege einschlagen: Über Ausbildungsmessen oder Schulbesuche erreicht man nicht alle. Jugendliche aus marginalisierten Gruppen sind dort zu finden, wo sie sich in ihrer Freizeit aufhalten. Hier lohnen sich Kooperationen mit Jugendzentren oder anderen Trägervereinen.

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