Arbeitgeber, die talentierte Schulabgänger für eine Ausbildung gewinnen wollen, stehen vor einem Problem: Wie punkten bei der jungen Generation, die lieber studieren oder bei bekannten Firmen in der Großstadt arbeiten will? „Wir müssen immer kreativer werden und immer früher an die jungen Leute herantreten, damit sie sich für uns entscheiden“, sagt Jörg Zell, CEO der Full-Service-Onlineagentur Interaktiv.
„Entscheidend für den Erfolg einer Geschichte ist, dass sie Emotionen auslöst und einen bleibenden Eindruck hinterlässt „
André Mücke, DSA youngstar
Vor drei Jahren ist das Unternehmen von Köln ins rund 40 Kilometer entfernte Kerpen gezogen. An Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz zum Mediengestalter oder Fachinformatiker mangele es auch am neuen Standort nicht, versichert der Firmenchef, Kandidaten mit „echtem Interesse“ seien aber immer seltener dabei. Um weiterhin den eigenen Fachkräftenachwuchs ausbilden zu können, setzt Zell deshalb neben Schulpartnerschaften, Praktika, Aktionstagen und Jobmessen auf gute Geschichten – das Storytelling.
Lebendige Einblicke statt trockener Fakten
Mit Videoclips, Podcasts oder Slideshows, die Mitarbeiter und Azubis selbst produzieren und über digitale Kanäle verbreiten, soll Interaktiv für potenzielle Bewerber sichtbar werden. Wie etwa ein Fachinformatiker, der zum virtuellen Rundgang durch die Firma einlädt oder eine Auszubildende, die in Kurzvideos von ihrem Berufsalltag berichtet. „Mit authentischen Geschichten können wir junge Menschen erreichen und für unsere IT-Berufe begeistern. In Vorstellungsgesprächen hören wir oft, dass Bewerber unsere Stories gesehen haben“, sagt Zell.
Bei der Ideenfindung arbeitet das rund 20-köpfige Agentur-Team in kleinen Gruppen und nutzt dabei auch den „Storygenerator“, ein kostenfreies Online-Tool, das Unternehmen den Einstieg ins Storytelling erleichtern soll. In wenigen Schritten lassen sich damit Geschichten erzeugen, die für das Azubimarketing verwendet oder nochmals individualisiert werden können. „Im Tagesgeschäft ist es nicht einfach, zielgruppengerechte Ideen zu entwickeln. Der Storygenerator ist ein Impulsgeber. Er liefert eine Basis, auf der wir aufbauen können“, lobt Zell das digitale Kreativwerkzeug, dessen Entwicklung er als Tester begleitet hat.
„Wer überzeugende Gründe für eine Ausbildung liefert, hat weiterhin gute Chancen, geeignete Nachwuchskräfte zu gewinnen.“
Claudia Schmitz, Intercommotion
Seit Mai 2022 ist das Tool online, an dem drei Projekte unter IHK-Beteiligung mehr als ein Jahr gearbeitet haben. „Wir möchten Unternehmen motivieren, neue Wege zu gehen, um bei jungen Menschen für ihr Ausbildungsangebot zu werben“, erklärt Projektreferent Tilman Liebert. Mit nüchternen Fakten allein ließen sich junge Talente nicht von einem Jobangebot überzeugen. „Gute Geschichten stechen aber aus der Flut an Informationen hervor, sie erhalten Aufmerksamkeit und bleiben im Kopf.“ Das, so Liebert, erhöhe die Chancen, offene Stellen auch in Zukunft mit qualifizierten Bewerbern besetzen zu können.
Emotionen auslösen
Tatsächlich sind die Aussichten düster. „Unterschiedlichen Prognosen zufolge könnten 2035 in Deutschland bis zu sieben Millionen Fachkräfte fehlen. Wer heute schon keine Azubis findet, muss das Problem schnellstmöglich angehen“, sagt André Mücke, Mitglied im DIHK-Bildungsausschuss und Geschäftsführer der Hamburger Schulmarketing-Agentur DSA youngstar. Die Möglichkeiten, potenzielle Bewerber via Storytelling anzusprechen, seien vielfältig. Ob Plakat oder Broschüre, Podcast oder Video, ob analog oder digital – „entscheidend für den Erfolg einer Geschichte ist, dass sie Emotionen auslöst und einen bleibenden Eindruck hinterlässt“, betont der Experte, das sei selbst mit kleinem Budget zu realisieren. Beispiel Azubi-Videos: „Die lassen sich ganz einfach mit dem Smartphone drehen und sind sehr effektiv, weil sie einen authentischen Blick in die Betriebe bieten.“ Mücke verweist auf den Erfolg der Kampagne „Mach’s wie wir!“ (siehe Kasten) und mahnt Betriebe zum Umdenken. „Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist alarmierend.“
Individuelle Stärken hervorheben
In punkto Azubimarketing gibt es noch Luft nach oben. „Manche Unternehmen denken, dass sie an ihren Maßnahmen nichts ändern müssen“, sagt Claudia Schmitz, Mitglied im DIHK-Bildungsausschuss und Geschäftsführerin der Kölner Ausbildungsagentur Intercommotion. Doch die Zahl der Bewerbungen gehe kontinuierlich zurück und der Kampf um junge Talente werde härter. „Arbeitgeber müssen nun aktiv und zielgruppenspezifisch um Nachwuchskräfte werben, erst recht, wenn sie in ihrer Region in Konkurrenz zu namhaften Firmen stehen.“ Gerade für kleinere Unternehmen sei Storytelling ein guter Weg, um individuelle Stärken – wie etwa das familiäre Betriebsklima – hervorzuheben, so Schmitz. „Wer seine Zielgruppe kennt und ihr überzeugende Gründe für eine Ausbildung liefert, hat weiterhin gute Chancen, geeignete Nachwuchskräfte zu gewinnen.“
Erfolgreich über das eigene Unternehmen erzählen
- Authentisch: Ob als Text, Bild, Audio oder Video – Storytelling funktioniert nur, wenn die „erzählte“ Geschichte authentisch und glaubwürdig ist. Sie muss zum jeweiligen Betrieb passen, dessen Werte und Ziele widerspiegeln. Übertreibungen werden spätestens im persönlichen Gespräch entlarvt und schaden dem Arbeitgeberimage.
- Selbstgemacht: Wer die eigene Belegschaft mit der Ideenfindung und Umsetzung betraut, kann mit kleinen Mitteln ins Storytelling einsteigen. Vor allem Azubis sind perfekte Botschafter. Sie wissen, was jungen Menschen bei der Jobsuche wichtig ist, sie treffen den richtigen Ton und kommunizieren auf Augenhöhe.
- Relevant: Gute Geschichten erzielen Aufmerksamkeit, wenn sie für den jeweiligen Empfänger relevant sind. Decken sie sich mit dessen Wünschen, Zielen oder Problemen, lösen sie Emotionen aus und bleiben im Gedächtnis. Je mehr sich die Zielgruppe mit dem Erzählten identifizieren kann, desto wirksamer ist die Story.
- Multimedial: Junge Menschen erreicht man am besten dort, wo sie viel Zeit verbringen: im Internet, in sozialen Netzwerken und in der Schule. Mit dem klassischen Plakat können sich Arbeitgeber ebenso ins Blickfeld potenzieller Bewerber rücken wie mit einem Video auf TikTok. Bei der Wahl des richtigen Formats und Kommunikationskanals sollten auch „Influencer“ wie Eltern und Lehrkräfte bedacht werden.