„Manches lässt sich digital sogar noch besser vermitteln“

Ausbildungsleiterin Tanja Glünkin ist bei Fragen für die SoCom- Azubis Niklas Steck und Louis Seider auch digital erreichbar, zum Beispiel über ein Online-Meeting-Tool © Agnes Mayer
Beim schwäbischen Softwareunternehmen SoCom können alle Beschäftigten ins Homeoffice – auch die Azubis. Was das für Vorteile bei der Bewerberlage mit sich bringt.
Agnes Mayer
Agnes Mayer
Freelancerin © Klaus Satzinger-Viel

Hauptsache, die Blumen vertrocknen nicht. Einmal in der Woche müssen die Azubis beim Unternehmen SoCom mit der Gießkanne durch die Büros ziehen. Die restlichen Tage können sie im Homeoffice verbringen – natürlich in Absprache mit ihren Vorgesetzten, wenn der Ausbildungsplan es zulässt und sie es auch möchten. Doch wie funktioniert das im Ausbildungsalltag genau?

Für den 20-jährigen Louis Seider sind es morgens nur wenige Meter vom Badezimmer zum Arbeitstisch. Sonst trennen ihn 53 Kilometer Landstraße zwischen seinem Wohnort in Augsburg und seinem Ausbildungsplatz in Krumbach. Nach der sechsmonatigen Einarbeitungszeit fährt er die Strecke meist nur noch zweimal in der Woche, die restlichen drei Tage ist er im Homeoffice. „Für mich ist das ein großer Pluspunkt“, sagt er. Auch Jörg Holinski, stellvertretender Support-Leiter und für die Ausbildung in der Abteilung zuständig, bekräftigt das: „Wir konnten dadurch unser Einzugsgebiet bei den Bewerbungen deutlich vergrößern.“ Gerade in der IT-Branche, wo Azubis besonders begehrt sind, profitieren beide Seiten davon.

IT-Azubis im Homeoffice

Seit mehr als 30 Jahren entwickelt SoCom Softwareprodukte für die Textilservice-Branche. Von den rund 45 Beschäftigten arbeiten manche ausschließlich im Homeoffice, andere bevorzugen das Büro vor Ort, wiederum andere sind im ständigen Wechsel. Dass dies auch für ein Technologieunternehmen wie SoCom möglich ist, hat erst Corona gezeigt. „Zuvor hatten nur die Mitarbeiter unseres 24-Stunden-Support die Möglichkeit, Kundenanfragen mobil am Notebook zu bearbeiten. So musste niemand nach Feierabend oder am Wochenende ins Büro kommen“, erinnert sich Jörg Holinski. Inzwischen gibt es abteilungsübergreifend für alle ein Homeoffice-Angebot. Auch bei den Azubis will das Unternehmen keine Ausnahme machen. SoCom bildet sowohl Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung als auch Kaufleute für IT-Systemmanagement aus: zwei sehr technische Berufe, in denen die meisten Arbeiten am Computer erledigt werden. „Das funktioniert bei uns problemlos. Ein Schreinerazubi lässt sich natürlich nicht so einfach ins Homeoffice schicken“, weiß Mark Popp, der die Entwicklungsabteilung leitet.

Louis Seider war es schon vor seiner Ausbildung bei SoCom gewohnt, von zu Hause aus zu arbeiten. Dort programmierte er in seiner Freizeit Computerspiele und unterstützte seinen Unternehmer-Vater bei der IT. Die ersten Tage im Homeoffice war er dennoch froh, nicht ganz auf sich allein gestellt zu sein. Mindestens einmal täglich tauschte er sich online mit Mark Popp aus. Inzwischen ist das nicht mehr nötig, aber Seider weiß, dass jederzeit jemand für ihn erreichbar ist. Auch Popp betont: „Das funktioniert auf einer hundertprozentigen Vertrauensbasis.“ Er ist überzeugt, dass das manches sogar einfacher macht. „Die gemeinsame Arbeit am Code funktioniert digital am besten. Ich kann direkt sehen, woran die Kollegen gerade programmieren.“ Jörg Holinski schätzt an Online-Meetings ebenso die Funktion, den Bildschirm für andere mit einem Mausklick freizugeben, um etwas anschaulich zu zeigen. „Früher mussten wir uns dafür im Büro alle um einen Bildschirm drängen.“

Louis Seider (20 Jahre, links) und Niklas Steck (17, rechts)
Während Louis Seider (20 Jahre, links) bereits im zweiten Lehrjahr zum Fachinformatiker eigene Projekte realisiert und relativ selbstständig arbeitet, durchläuft sein Azubi-Kollege Niklas Steck (17) gerade noch die einzelnen Abteilungen © Agnes Mayer

Gute Betreuung trifft auf Eigenverantwortung

In welcher Phase der Ausbildung mobiles Arbeiten jedoch machbar und sinnvoll ist, das hat SoCom-Ausbildungsleiterin Tanja Glünkin im Blick. Gleich zu Beginn erhalten die Azubis eine Homeoffice-Vereinbarung und die entsprechende technische Ausstattung. Dennoch ist es dem Unternehmen wichtig, dass die Auszubildenden in den ersten sechs Monaten immer vor Ort sind. „Die Azubis sollen das Unternehmen und die Kollegen im direkten Kontakt kennenlernen“, erklärt Tanja Glünkin. Nur so könne man einschätzen, ob der Azubi bereits alle Kompetenzen für das mobile Arbeiten mitbringe. Denn das erfordere vor allem Eigenverantwortung, Disziplin und das richtige Zeitmanagement.

Während Louis Seider bereits im zweiten Lehrjahr zum Fachinformatiker eigene Projekte realisiert und relativ selbstständig arbeitet, durchläuft sein Azubi-Kollege Niklas Steck gerade noch die einzelnen Abteilungen. Der 17-Jährige wird bei SoCom zum Kaufmann für IT-Systemmanagement ausgebildet und ist schon neugierig darauf, bald selbst erste Erfahrungen im mobilen Arbeiten zu sammeln. Wenn er dann feststellen sollte, dass er sich im Büro wohler fühlt, ist er von zu Hause aus in nur zehn Minuten dort. Die Blumen müssen schließlich auch gegossen werden.


„Aber es bedarf einer gewissen Vorbereitung“

Ausbildung im Homeoffice? Welche Herausforderungen und Chancen kommen damit auf Unternehmen zu? Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) bietet hierzu Handlungsempfehlungen. POSITION hat bei der dortigen Wissenschaftlerin Alexandra Mergener nachgefragt.

In der Corona-Zeit fand Ausbildung oft im Homeoffice statt. Die Pandemie ist vorbei. Hat sich das Thema damit nicht erledigt?
Die Pandemie hat einen Prozess angestoßen, der früher oder später ohnehin hätte
erfolgen müssen. Bereits vor 2020 hat sich eine immer stärkere Tendenz dahin gezeigt, dass räumlich flexible und mobile Arbeitsmodelle zugenommen haben. Die Pandemie hat dieser Entwicklung noch einmal einen Schub gegeben. Wo Ausbildungsbetriebe zunächst improvisieren mussten, hat der BIBB-Hauptausschuss ihnen nun mit seinen Handlungsempfehlungen etwas Konkretes an die Hand gegeben.

Warum sollten Unternehmen auch Azubis die Möglichkeit anbieten, mobil zu arbeiten?
Eine Arbeitswelt ohne flexible Modelle ist nicht mehr vorstellbar. Um im Homeoffice
genauso gut arbeiten zu können wie an einem festen Büroarbeitsplatz, bedarf es jedoch bestimmter Skills. Da kommt die Ausbildung ins Spiel, die diese zentralen, beruflichen Kompetenzen vermittelt. Sie bereitet Auszubildende auf das vor, was sie später als ausgebildete Fachkraft ohnehin beherrschen und umsetzen müssen.

Und wenn Azubis damit nicht zurechtkommen?
Tatsächlich sollten solche räumlich mobilen Modelle nicht schablonenhaft über alle gestülpt werden. Direkt zu Beginn gilt es herauszufinden, inwiefern die Azubis schon zuverlässig, eigenständig sowie diszipliniert sind und ein gutes Zeitmanagement haben. Wenn dem nicht so ist, sollte man diese Kompetenzen zunächst vor Ort fördern. Außerdem muss berücksichtigt werden, ob die Personen zu Hause einen ruhigen Arbeitsplatz haben. Nicht, dass sie diesen zum Beispiel mit einem Geschwisterkind teilen. Zu guter Letzt ist die Frage entscheidend: Wollen die Auszubildenden überhaupt im Homeoffice arbeiten? Viele möchten nach der Schule den betrieblichen Alltag erleben und sind frustriert, wenn sie weiterhin im Elternhaus bleiben müssen.

In der Empfehlung steht „Grundsätzlich findet die betriebliche Ausbildung weiterhin in Präsenz statt“. Ist mobiles Ausbilden eine Ausnahme von der Regel?
Das sollte sich nicht ausschließen. Mobiles Ausbilden ist grundsätzlich als ein Baustein zu betrachten. Es sollte die Ausbildung in Präsenz ergänzen, aber eben nicht vollständig ersetzen. Bestimmte Tätigkeiten, die sich bereits in der Ausbildung für die mobile Arbeit eignen, können auch dort ausgeübt werden.

Wie führt man mobiles Ausbilden als Unternehmen am besten ein?
Zunächst gilt es einmal, die technische Ausstattung zu beschaffen. Das umfasst mobile Endgeräte sowie entsprechende Software wie zum Beispiel Kollaborations-Tools für die virtuelle Zusammenarbeit. Dann muss sich in einem zweiten Schritt das Ausbildungspersonal vorbereiten, sodass es kompetent mit diesen Tools umgehen kann.

Wo liegen die Herausforderungen für Ausbildungsunternehmen bei der Umsetzung?
Zunächst darin, das gesamte Ausbildungspersonal ins Boot zu holen. Die zweite große Herausforderung ist der soziale Aspekt. Teamwork lässt sich auch virtuell erreichen, aber es bedarf einer gewissen Vorbereitung und ist nicht ganz so selbstverständlich umzusetzen wie bei der Ausbildung in Präsenz.

Kommt damit auf das Ausbildungspersonal mehr Arbeit zu?
Ja, aber auch große Chancen. Ausbilder und Ausbilderinnen haben im Zuge der Pandemie häufig ebenfalls die räumliche Flexibilität schätzen gelernt. Wenn die Ausbildung nicht mobil ist, dann ist auch das Ausbildungspersonal nicht mobil, sondern an den betrieblichen Arbeitsort gebunden.

Welche Chancen ergeben sich noch?
Wer in der Ausbildung die Erfahrung gemacht hat, im Homeoffice zu arbeiten, hat später auf dem Arbeitsmarkt enorme Möglichkeiten bei der Job- und Betriebswahl, die über räumliche Grenzen hinausgehen. Gleiches gilt auch für die Betriebe. Ihnen steht ein größerer Pool an Bewerber und Bewerberinnen zur Verfügung, aus dem sie schöpfen können.


Fünf Tipps für mobiles Lernen und Ausbilden:

  • Doppelte Freiwilligkeit: Unternehmen sind nicht verpflichtet, ein entsprechendes mobiles Angebot zu schaffen, ebenso müssen es Auszubildende auch nicht annehmen.
  • Klein beginnen: Empfohlen wird, die mobile Ausbildung mit einfachen, kleinen Lerneinheiten zu starten, statt gleich den Azubis die großen Projekte zu übertragen.
  • Sicher, geschützt & mobil: Auch im Homeoffice gelten Gesetze zu Arbeitszeiten und Jugendschutz. Ebenso müssen Datenschutz und -sicherheit eingehalten werden.
  • Erreichbarkeiten klären: Ein regelmäßiger Austausch zwischen Ausbildungspersonal und Azubis muss auch auf Distanz erfolgen können.
  • Flexibel bleiben: Nicht nur räumlich, sondern auch gedanklich. Die mobile Ausbildung befindet sich immer noch in einer Lernphase. Nicht alles klappt auf Anhieb.

Teilen Sie diesen Beitrag mit Ihrem Netzwerk

Weitere Beiträge für Sie

Lust auf Position?

Impulse, Tipps und Ideen für ihre nachhaltige Fachkräftesicherung finden Sie auch im aktuellen Heft. POSITION richtet sich in erster Linie an Ausbilder, Prüfer und Personalverantwortliche in den IHK-Mitgliedsbetrieben. Die Bestellung erfolgt über Ihre IHK oder unseren Verlag.

magazin-faecher-dihk-position

Keine Ausgabe mehr verpassen

Sie wollen wichtige Impulse, Tipps und Ideen für Ihre nachhaltige Fachkräftesicherung regelmäßig auf Ihrem Schreibtisch haben? Als Ausbilder, Prüfer oder Personalverantwortlicher interessieren Sie sich für die zielgruppengerechten Angebote der IHK-Organisation zur Aus- und Weiterbildung und für bildungspolitische Vorschläge?

Nutzen Sie am besten und einfachsten das nebenstehende Aboformular – auch, wenn Sie POSITION nur mal unverbindlich testen wollen. Wir melden uns dann umgehend bei Ihnen!

Kontakt zur Redaktion

Wie gefällt Ihnen POSITION? Ihre kritischen wie wohlwollenden Hinweise interessieren uns sehr! Denn nur so erfahren wir, ob wir Ihnen mit unserem Magazin den gewünschten Mehrwert liefern und was wir noch besser machen können. Auch an Ihren Themenvorschlägen sind wir jederzeit interessiert. Deshalb: Vielen Dank, dass Sie mit uns in Kontakt treten wollen! Bitte füllen Sie die nebenstehenden Felder aus. Selbstverständlich wird jede Zuschrift vertraulich behandelt.