Favorit mit Handicap

Bildschirme mit enorm vergrößerter Schrift, eine Spezialkamera liest daneben vom Papier ab – so kann Azubi Florin Zapf eigentlich ganz normal arbeiten
Bildschirme mit enorm vergrößerter Schrift, eine Spezialkamera liest daneben vom Papier ab – so kann Azubi Florin Zapf eigentlich ganz normal arbeiten © Michael Reichel
„Bei ihm hat man sofort gemerkt, dass er eine Bereicherung ist.“ Die Chefin einer Porzellanfabrik in Thüringen schwärmt über ihren Auszubildenden mit Sehschwäche. Er ist allerdings nicht der einzige beeinträchtigte Beschäftigte in dem Betrieb, dem für sein Engagement der „Inklusionspreis für die Wirtschaft“ verliehen worden ist.
Sebastian Haak
Sebastian Haak
Freier Journalist

Mehr als eine Stunde lang hat Sybille Kaiser geduldig Fragen beantwortet. Doch dann, ganz plötzlich weiß sie nicht, was sie sagen soll. Die Frage, die sie sprachlos macht, lautet: „Warum tun Sie das eigentlich?“

Von etwa 100 Menschen, die in der Porzellanfabrik in Hermsdorf (bei Jena), wo Kaiser Geschäftsführerin ist, arbeiten, haben derzeit sieben ein Handicap. Menschen mit geistigen Behinderungen sind darunter, Menschen mit körperlichen Behinderungen.

Bei Florin Zapf ist es eine Krankheit, die Morbus Best heißt, die dazu geführt hat, dass er eine Behinderung hat. Im Laufe seiner frühen Kindheit sind seine Augen immer schlechter geworden. Heute hat er eine Sehleistung, die nur noch fünf bis zehn Prozent der eines gesunden Erwachsenen entspricht. Die Monitore, vor denen der 21-jährige Auszubildende sitzt, vergrößern die dargestellte Schrift deshalb enorm. Eine Spezialkamera neben ihm liest vom Papier ab und projiziert die Schrift auf die Bildschirme.

Als Zapf und Kaiser sich 2019 das erste Mal trafen, war für die Geschäftsführerin sofort klar, dass sie den jungen Mann einstellen würde. Eigentlich, sagt sie, habe sie damals überhaupt keinen Nachwuchs im kaufmännischen Bereich gesucht. „Aber so einen jungen Mann kann man einfach nicht wegschicken“, sagt sie. „Bei ihm hat man sofort gemerkt, dass er eine Bereicherung ist.“ Noch immer ist Kaiser über diese Entscheidung von damals ebenso glücklich wie Zapf, der inzwischen im zweiten Lehrjahr einer Ausbildung zum Industriekaufmann ist. „Es ist einfach toll, wie viele Dinge ich hier über ein Unternehmen lerne“, sagt er. Obwohl Zapf eigentlich einen anderen Karriereweg einschlagen wollte, ist er sehr zufrieden mit seinem Beruf.

„Sie sind die loyalsten, fleißigsten, motiviertesten Mitarbeiter, die man haben kann.“

Sybille Kaiser, Geschäftsführerin Porzellanfabrik Hermsdorf

Die Geschichte, die den Lehrling und seine Chefin zusammengeführt hat, ist bezeichnend dafür, warum Kaiser lange nicht recht weiß, was sie auf die Frage antworten soll, warum sie sich so sehr für Menschen mit Behinderung engagiert. Irgendwann sagt sie dann: „Ich verstehe die Frage nicht. Das sind doch alles Menschen.“ 2020 haben Kaiser und das Porzellanwerk den „Inklusionspreis für die Wirtschaft“ verliehen bekommen, der unter Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vergeben wurde.

Lange vor dieser Frage hatte Kaiser schon mit vielen Vorurteilen aufgeräumt, die es für gewöhnlich gegenüber der Einstellung von Menschen mit Handicaps gibt. Nicht nur, dass es eigentlich in fast allen Unternehmen Tätigkeiten gebe, die sie ausüben könnten, hatte Kaiser gesagt. Entweder am Empfang, am Telefon, in der Reinigung, bei der Pflege der Außenanlagen… Vor allem hatte Kaiser über den Alltag mit ihnen geschwärmt. „Sie sind die loyalsten, fleißigsten, motiviertesten Mitarbeiter, die man haben kann – vorausgesetzt, man findet eine passende Arbeit für sie.“

So überzeugt war und ist Kaiser davon, welche Bereicherung Menschen mit Handicaps für Unternehmen sein können, dass sie Zapf sogar eingestellt hatte, ohne zu wissen, welche staatlichen Zuschüsse sie für seinen Fall erhalten konnte. Erst später habe sie erfahren, dass es Geld von der Arbeitsagentur unter anderem für die Monitore, die Kamera, die Spezialsoftware und ein paar Dinge mehr gebe; konkret: etwa 25.000 Euro.

Im Ausbildungsalltag von Zapf spielt dessen Behinderung allerdings so oder so keine zentrale Rolle. Nicht für ihn. Nicht für seine Kollegen. Einziger Unterschied zu anderen Auszubildenden: Seine Kollegen kommen zu Zapf ins Büro, wenn sie ihm etwas erklären wollen. Er geht nicht zu ihnen, weil jeder Weg durchs Haus für ihn ein Risiko ist. „Das sehe ich aber nicht als zusätzlichen Aufwand“, sagt Kaiser – ohne zu überlegen.

Fragen und Antworten

WELCHE AUSBILDUNG?
Menschen mit Handicap können – je nach Behinderung – auf verschiedene Weisen ausgebildet werden:

  • In einer regulären Ausbildung – also im Grunde wie bei jedem anderen Lehrling auch
  • In einer Teilzeitausbildung – also mit einem reduzierten täglichen Ausbildungsumfang, wodurch sich die Gesamtausbildungszeit verlängert
  • In einer Fachpraktiker-Ausbildung – also mit einem reduzierten Theorieanteil und einem Fokus auf die Praxis
  • In Kooperation mit Dritten – also mit einem Partner, der bestimmte Ausbildungsinhalte vermittelt, die im eigenen Unternehmen nicht zu vermitteln sind

WELCHE ZUSCHÜSSE?
Wer einen Auszubildenden mit Handicap einstellt, kann dafür finanzielle Unterstützung erhalten. Dazu gehören unter anderem:

  • Übernahme von Kosten für Arbeitshilfen
  • Kostenerstattung für die Anpassung des Arbeitsplatzes
  • Lohnkostenzuschüsse
  • Erstattung von Prüfungsgebühren

WELCHE ANFORDERUNGEN?
Ausbildungsbetriebe von Menschen mit Behinderung müssen allerdings auch besondere Anforderungen erfüllen. Dazu können gehören:

  • Häufigere Pausen für Menschen etwa mit Diabetes
  • Keine Tätigkeit an bestimmten Maschinen für Menschen mit Epilepsie
  • Barrierefreie Zugänge für Menschen im Rollstuhl
  • Spezielle Bildschirme für Menschen mit Sehschwächen

Quellen: IHK Südthüringen / IHK Region Stuttgart / IHK Berlin

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