E-Learning „steigert die Zufriedenheit der Lernenden“

Das iPad mit dem Lernvideo auf der Werkbank: Für Unternehmer Frank Jäger und für seine Auszubildende ­Arabella Minniti gehört das zum Ausbildungsalltag © Jodo-Foto / Joerg Donecker
Kein Selbstläufer, aber – richtig eingesetzt – eine wertvolle Ergänzung: Das Online-Lernen kann die Eigenverantwortung von Azubis fördern und Ausbildungsverantwortliche entlasten.
Mascha Dinter
Mascha Dinter
Freie Journalistin

Jeden Freitag ist für die ­Auszubildenden von Frank ­Jäger E-Learning-Tag. Dann schnappen sich die ­angehenden Anlagenmechaniker für ­Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik ihre iPads und bearbeiten ihre E-Learning-Einheiten, zu ­denen zahlreiche Lernvideos ­zählen. Darin wird ­beispielsweise ­gezeigt, wie man ein ­Gewinde einhanft, Pressverbindungen herstellt oder Rohre biegt. Die Videos enthalten ­verschiedene interaktive Elemente wie Lücken­texte oder Quizze, die den Spaßfaktor erhöhen und das aktive Lernen fördern sollen. Haben sich die Azubis das erforderliche Wissen per Video angeeignet, geht es an die Umsetzung. Dafür suchen sie sich im Lager eigenständig das Material zusammen, holen die ­benötigten Maschinen und begeben sich dann an die Werkbank.

Den Lernstand der Azubis im Blick

Frank Jäger führt den Karlsruher Heizungs- und Sanitärbetrieb Jäger Haustechnik in zweiter Generation. Derzeit beschäftigt er 22 Mitarbeiter und vier Auszubildende. Zum E-­Learning ist er gekommen, weil er zunehmend eine Diskrepanz zwischen Lehrplan und Praxis feststellt. „Was nützt es mir, wenn der Azubi in der Berufsschule am Ölbrenner steht, von meinen Kunden aber nur noch Wärmepumpen nachgefragt werden?“, so Jäger, der ausschließlich für den eigenen Bedarf ausbildet. Mit der Entwicklung eines betriebseigenen digitalen Schulungssystems will er diese Lücken schließen.

„Der Charme ist, dass beim E-Learning kein Kollege ­dabei sein und die Arbeitsschritte ­erklären muss. Die Azubis machen das komplett ­eigenständig und können dadurch in ihrem eigenen Tempo lernen“, sagt ­Jäger. Das heißt aber nicht, dass er nicht auf dem Laufenden ist, was ihren Lernstand angeht. Im Gegenteil: Über die vom System generierten Lernerfolgskontrollen kann er den Wissensstand seiner Azubis überprüfen und feststellen, ob sie die Lernziele erreichen. Jeder E-Learning-Tag sieht außerdem ein Feedback­gespräch vor: „Wir sprechen das anschließend immer durch und schauen uns gemeinsam die angefertigten Übungsstücke an.“

Lerninhalte flexibel anpassen

Man könnte meinen, die Corona­pandemie habe die Digitalisie­rung im ­Bildungssystem ­vorangetrieben und den ­Nutzen von E-Learning deutlich gemacht. Martin Sommer kann das nicht bestätigen. Sommer ist ­Gründer von eLearningPlus, einem ­Anbieter von individualisierten E-Learning-Systemen, der mit Unternehmen, IHKs, Fachverbänden und Weiterbildungsinstituten zusammenarbeitet. „Mein Eindruck ist eher, dass viele Ausbildungsverantwortliche ­weniger Lust haben, etwas immer und wieder zu ­erklären“, so der E-­Learning-Experte. Die Schul­abgänger wiederum ­kämen zum Teil mit ­erheblichen ­Lerndefiziten in die ­Betriebe. Beides ­könne mit E-Learning abgefangen ­werden. Neben der ­Möglichkeit, die ­digitalen Lern­inhalte an die individuellen ­Bedürfnisse der Auszubildenden anzupassen, können ­Unternehmen diese ­außerdem schneller ­aktualisieren, um mit sich ­verändernden Trends und Anfor­derungen Schritt zu ­halten.

Mein Eindruck ist eher, dass viele Ausbildungsverantwortliche weniger Lust haben, etwas immer und wieder zu erklären.

Martin Sommer, Gründer von eLearningPlus

Kosten sind nicht die größte Hürde

Was hält Unternehmen ­davon ab, sich trotz der Vorteile mit E-Learning zu beschäftigen? Laut Sommer sind es nicht die Kosten, die bei der Einführung digitaler Aus- und Weiterbildungs­systeme anfallen. „­Viele Unternehmen halten zu sehr an Altbekanntem fest, ganz nach dem Motto: Das haben wir schon immer so gemacht.“ Das ­kollidiere mit den ­Vorstellungen der „Generation Z“ vom Arbeitsleben, die vor allem Wert auf Flexibilität und Agilität legt. „Wir sollten bedenken, dass junge Menschen bereits total digital unterwegs sind. Gilt das nicht für ihre berufliche Realität, ­entsteht ein Bruch und je länger dieser Bruch aufrechterhalten wird, umso mehr wird eine Dis­tanz zwischen ihnen und dem Bildungssystem erzeugt“, warnt Leah Schrimpf, Bereichsleiterin Bildungspolitik beim Digital­verband Bitkom.

Wir sollten bedenken, dass junge Menschen bereits total digital unterwegs sind. Gilt das nicht für ihre berufliche Realität, entsteht ein Bruch.

Leah Schrimpf, Bereichsleiterin Bildungspolitik beim Digitalverband Bitkom

„Die Art der Aufbereitung spricht die Azubis an“

Bei der Entwicklung seines ­firmeneigenen E-Learning-­Systems, das nicht nur für die Ausbildung, sondern auch für die Einarbeitung neuer Mit­arbeiter genutzt wird, hat sich Frank Jäger Unterstützung von eLearningPlus geholt. Um die Plattform mit auf den Heizungs- und Sanitärbetrieb zugeschnittenen Inhalten zu füllen, haben Jäger und sein Team zahlreiche Videos produziert, die u. a. Informationen zur ­Unternehmenskultur, zur Organisationsstruktur und Kurzvorstellungen der einzelnen Mitarbeiter enthalten. Bei den Lernvideos der Azubis handelt es sich teilweise um vorgefertigte Inhalte für den Ausbildungsberuf, welche eLearning­Plus zur Verfügung stellt.

„Die Art der Aufbereitung spricht die Azubis an, das Feed­back ist Klasse“, sagt Jäger. Eine seiner Auszubildenden, eine ehemalige Krankenschwester, die zur Anlagenmechanikerin SHK umschulen will, hat mit Hilfe der E-Learning-Module vor Ausbildungsbeginn die gesamten Inhalte des ersten Lehrjahrs nachgeholt und startet nun direkt ins zweite Lehrjahr.

Mehr Teilhabe durch E-Learning

Laut Schrimpf seien die Lernerfolge bei E-Learning oft größer. Auch, weil jeder in seinem eigenen Tempo lernen könne. „Die Hürde, erneut nachzufragen, weil man etwas nicht verstanden hat, fällt weg. Stattdessen sieht man sich einfach noch einmal die entsprechende Lerneinheit an“, so Schrimpf. Neue intelligente Lernsysteme sind sogar in der Lage, sich dem Lernfortschritt und dem Lernverhalten anzupassen. „Das steigert die Zufriedenheit der Lernenden und sie bekommen nicht das Gefühl, in einer Schleife ­festzuhängen, selbst wenn sie bestimmte ­Inhalte häufig wiederholen“.

Zudem könne E-Learning mehr Teilhabe möglich machen: „­Einer der größten Vorteile ist die ­Flexibilität in Bezug auf Ort und Zeit. Auszubildenden mit körperlichen ­Einschränkungen kann damit beispielsweise ­ermöglicht werden, teilweise von zuhause aus zu lernen.“ Darüber hinaus ließen sich E-Learning-­Plattformen und -Materialien so gestalten, dass sie barrierefrei sind und von Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen genutzt werden können. Auch Sprachbarrieren könnten ­leichter abgebaut werden, indem z. B. Untertitel genutzt würden. Und mit Hilfe von Augmented- und Virtual-Reality-Anwendungen ließen sich gefährliche, teure oder schwer zugängliche Situa­tionen simulieren, bevor sich die Auszubildenden ihnen in der ­Realität stellen müssen.

Kleine Lernhäppchen

Ob Chemieunternehmen, Gastro­nomiebetrieb, Fahrradhändler oder Handwerksbetrieb – das Rezept für erfolgreiches E-Learning in der Ausbildung sei für alle Branchen das ­gleiche, sagt Sommer, der auch einen Lehrauftrag für Fach­didaktik an der Universität Ulm hat. „Die Einheiten müssen in kleine Lernhäppchen unterteilt sein, es braucht interaktive ­Elemente, um die ­Konzentration und ­Motivation aufrechtzu­erhalten und am Ende sollte ein Übertrag von der Theorie in die Praxis stattfinden. Die Frage ‚Wofür brauche ich das?‘ kommt dann gar nicht erst auf.“ Wenn Sommer und sein Team, das aus Didaktikexperten, Informatikern, Webdesignern und Video­grafen besteht, ein E-Learning-­System für einen Kunden ­aufsetzen, fällt oft auf, dass es den Unternehmen in Hinblick auf die Ausbildung grundsätzlich an strukturierten Prozessen mangelt. „Wir beginnen also meist damit, erst einmal syste­matisch zu erfassen, welches Wissen vermittelt werden soll und erarbeiten gemeinsam ein ­Konzept.“

Wissensdatenbank für alle Mitarbeiter

Mit der Zeit soll die digitale Lernplattform bei Jäger Haus­technik auch zur internen „Wissensdatenbank“ für alle im Team werden. Damit das funktioniert, sind die Mitarbeiter angehalten, kontinuierlich Inhalte zu produzieren, vor ­allem in Videoform. „Am Anfang war die Hemmschwelle groß: ‚Ich soll mich filmen, während ich in mein Handy spreche und ­erkläre, wie man ein bestimmtes Gerät wartet?‘“ Was für die TikTok- und Instagram-nutzende ­Generation der Azubis nichts Besonders ist, sorgte bei älteren Mitarbeitern zunächst für Unbehagen. „Hier mussten wir zu Beginn erst einmal ­Hemmungen abbauen“, berichtet Jäger. ­Aktuell lädt Jäger als Admin das Video­material hoch, künftig sollen aber alle Mitarbeiter die Möglichkeit dazu haben.

Kein Selbstläufer

Ob und in welchem Umfang E-Learning in der Ausbildung zum Einsatz kommt, ist laut Schrimpf stark davon abhängig, welche Lernstrukturen bereits im Unternehmen vorhanden ­seien und inwiefern die Mitarbeiter über digitalen Kompetenzen verfügten. Unternehmen, die bereits Erfahrung mit E-­Learning hätten, falle es leichter, diese Lernform auch in der Ausbildung zu verankern. „Sind die E-Learning-Prozesse ­einmal erfolgreich in die Ausbildung integriert, können sie sich nach einer Weile zeitsparend auswirken und Ausbildungsverantwortliche entlasten. Erfolgreich integriert heißt dabei auch gut betreut“, betont Schrimpf. „Die Inhalte müssen ­regelmäßig aktualisiert werden und es braucht ­Personalverantwortliche, die diese Prozesse ­begleiten und außerdem analog mit den Azubis ihre Lernfortschritte ­besprechen.“

Auch Jäger betont: „E-Learning ist kein System, das man einführt und das anschließend zum Selbstläufer wird.“ Nicht nur, weil die Inhalte auf dem neuesten Stand gehalten und bei ­Bedarf ergänzt werden müssen. „Ich brauche auch die Konsequenz, die Zeit dafür bereitzustellen.“ Heißt es freitags – am E-Learning-Tag bei Jäger Haus­technik – „Bei uns drückt es, wir brauchen den Azubi auf der Baustelle!“, lehnt Jäger konsequent ab.

Fünf Tipps für erfolgreiches E-Learning

  • Gewähren Sie Ihren Auszubildenden dauerhaften ­Zugang zum E-Learning, indem sie ihnen zum Beispiel Laptops oder Tablets zur Verfügung stellen oder den Zugriff übers eigene Smartphone ermöglichen. Das ist nützlich, wenn die Azubis von unterwegs – etwa beim Kunden vor Ort oder auf der Baustelle – auf die Inhalte zugreifen oder von zu Hause aus lernen möchten.
  • Bieten Sie flexible Lernmöglichkeiten und gestatten Sie den Auszubildenden, ihren eigenen Lernrhythmus zu wählen und in ihrem Tempo zu lernen.
  • Führen Sie regelmäßige Feedbackgespräche mit Ihren Auszubildenden, um ihren Fortschritt zu besprechen und eventuelle Schwierigkeiten zu identifizieren.
  • Berufsfelder und Technologien entwickeln sich ständig weiter. Halten Sie die E-Learning-Inhalte aktuell und passen Sie sie bei Bedarf an, um sicherzustellen, dass die Lernziele erreicht werden.
  • Vergessen Sie nicht: E-Learning soll Spaß machen und die Auszubildenden sollen sich damit selbst zum ­Lernen motivieren können. Multimediale Inhalte wie ­Videos, interaktive Übungen, Gamification-Elemente und ­Simulationen können helfen, die Motivation zu steigern, außerdem können sie zum besseren Verständnis und zu höherer Konzentration beitragen.

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