„Azubis vom ersten Tag an zu Leadern machen!“

Geteilte Führung ist die bessere Führung, betonen die HR-Experten Randolf Jessl (links) und Thomas Wilhelm © Colin Derks Fotografie
Wer gut führt, muss auch gut folgen können: Das beschreiben Randolf Jessl und Prof. Thomas Wilhelm in ihrem Buch „Shared Leadership“. Im Gespräch mit POSITION verraten die beiden HR-Experten, wie man Führung auf mehrere Schultern verteilt – und warum bereits junge Menschen Verantwortung übernehmen sollten.
Thilo Kunze
Thilo Kunze
Thilo Kunze © Paul Aidan Perry

Zu den Personen

Randolf Jessl, (im Bild links) Gründer und Geschäftsführer der Beratungsagentur Auctority in Freiburg i.Br, ­begleitet Führungskräfte und Unternehmen in Fragen von Leadership und Kommunikation sowie zur ­Personal- und Organisationsentwicklung. Der Fachjournalist (knapp zehn Jahre Chefredakteur des „Personalmagazins“) gibt Führungskräfte-­Kurse u.a. an der Executive School der Universität St. Gallen.

Thomas Wilhelm ist Professor für Interkulturelles Coaching, Beratung und Leadership an der Internationalen Hochschule SDI in München. Laut Haufe.de gilt der Mitbegründer von „Projekt Philosophie“ zu den Pionieren der philosophischen Beratung von Managern und Business Professionals zu den Themen Leadership, ­Kommunikation und interkulturelle Zusammenarbeit. Mehrere Buchver­öffentlichungen.


Wollen wir wirklich „geteilte Führung“, oder ist es nicht so wie mit den vielen Köchen, die nur den Brei verderben?

Randolf Jessl: Der Trugschluss, Führung müsse in einer Hand liegen, ist in vielen Köpfen drin. Wir müssen jedoch trennen zwischen formaler Führung und der informellen Fühlung, wo sich Menschen Rat suchen und der Person folgen, die ihnen in einer bestimmten Situation eine geeignete Lösung präsentiert. Das kann – mal als einfaches Beispiel – bei einer Brandschutzübung auch der Azubi sein, der den Fluchtweg kennt.

Thomas Wilhelm: Damit nicht viele Köche den Brei verderben, muss es eine gute Abstimmung zwischen allen Beteiligten geben, Staffelstabübergaben müssen auch klar kommuniziert werden. Dabei leben leistungsfähige Teams auch davon – und das ist ­keine ganz neue Erfindung, – dass ­bestimmte Personen auch aus ­eigener Motivation heraus gerne ­Verantwortung ­übernehmen.

Lässt sich das steuern?

Wilhelm: In funktionierenden Teams entsteht Führung auf eine ganz natürliche Art und Weise. Woanders braucht es Anstöße und auch mal den Mut der formalen Führungskraft, etwas auszuprobieren, zu ändern. Den Mut, sich auch mal von Mitarbeitenden führen zu lassen. Dafür muss der Chef loslassen können, anderen Vertrauen schenken und sich auch immer wieder Feedback einholen.

Jessl: Wenn wir auf eine formale Führungskraft im Seminar schauen, erwarten häufig alle anderen, dass sie auch hier führt. Zugleich sehen wir, dass es den Führungspersonen oft verdammt schwerfällt, sich einfach mal zurückzunehmen. Daher proben wir in unseren Seminaren entsprechende Rollenspiele…

Wilhelm: … und da fällt es vielen wie Schuppen von den Augen. Durch das gemeinsame Üben reift die Gruppe. Indem sich Chefs auch mal aufs Zuhören konzentrieren, aufs Fragenstellen. Führungskräfte, die gestern noch enttäuscht waren, weil sie alles selbst machen mussten, erkennen, dass sie auch selbst schuld daran waren, dass sich andere zurückgezogen hatten.

Und auch für die Mitarbeitenden gibt es einen Lernprozess. Mancher, der bisher sagte „Dafür werde ich nicht bezahlt!“, sieht nun, welche Freude es machen kann, auch mal zu gestalten und zu führen.

Gilt das auch für Azubis?

Jessl: Ja, absolut. Die Erfahrung zeigt, dass junge Menschen heute eine andere Erwartungshaltung an den Job haben als frühere ­Generationen, sich mehr ­kreativ ausprobieren und auch aktiv ­einbringen wollen. Daher muss man bei ihnen auch früh ansetzen. Anders ausgedrückt: Wir sollten Azubis vom ersten Tag an zu Leadern machen – das ist eine ganz grundsätzliche ­Fähigkeit in der Zusammenarbeit von Menschen, die jedermann braucht!

Wilhelm: Eine Fähigkeit, die sich wirklich gut erlernen lässt. Wer führt, muss zuallererst auch wissen: Wie setze ich Ziele, wie entwickle ich eine Strategie, wie moderiere ich Konflikte, wie führe ich Entscheidungen herbei, wie überzeuge ich andere? Das ist klassisches Handwerkszeug.

Jessl: In vielen Azubis schlummern entsprechende Fähigkeiten, die im Betrieb vielleicht gar nicht bekannt sind. Dabei ist der junge Mensch vielleicht bereits zweiter Vorsitzender in seinem Tennisverein und verfügt über Organisationstalent, Begeisterungsfähigkeit und ein gutes Zeitmanagement. Qualitäten dieser Art sollte man weiterentwickeln. Wir brauchen daher Leadershiptrainings auch für Azubis.

Wilhelm: Und, als Ergänzung, auch eine völlige Neubewertung des Führungsbegriffs. ­Führung bedeutet eben nicht, bereits immer eine Lösung parat zu ­haben, sondern die ­Initiative zu ­ergreifen, mit anderen eine ­Lösung zu finden und diese auch ­umzusetzen.

Würden Sie, frei nach Ludwig Erhard, dem Spruch zustimmen „Führung ist zu 50 Prozent Psychologie“?

Wilhelm: Ja, weil ich verstehen muss, was Menschen bewegt und welche Hebel ich bewegen muss, um andere zu bewegen.

Jessl: Die anderen 50 Prozent sind Soziologie: Es geht auch um die Gruppe als Ganzes, um das Zusammenspiel von Menschen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen unter gegebenen Rahmenbedingungen.

Was ist wichtiger für den Erfolg einer Führungsperson, z.B. eines Ausbilders: die Sympathie, die wir ihm gegenüber empfinden, oder seine Amtsautorität?

Jessl: Sympathie und Nähe, aber auch Vertrauen tragen dazu bei, dass uns Menschen ­freiwillig folgen. Beispiel Haustürgeschäfte: Wen lasse ich wohl in meine Wohnung, um mir etwas verkaufen zu lassen? Wohl nur eine Person, die ich nicht nur sympathisch finde, sondern der ich auch noch absolut vertraue – vielleicht, weil sie mich schon mehrfach gut beraten hat.

Wilhelm: Noch viel wichtiger als Sympathie ist im Berufsleben die Verlässlichkeit: Ich arbeite gerne mit jemandem zusammen, von dem ich weiß, dass es klappt. Da kann mir die Sympathie sogar auch mal schnuppe sein.

Wie erlange ich Vertrauen?

Jessl: Das fällt natürlich nicht vom Himmel. Vertrauen wächst wie der Punktestand auf einem Konto. Je öfter ich erlebe, dass jemand verlässlich ist, desto stärker wächst mein Vertrauen und steigt seine Reputation in meinen Augen.

Wilhelm: Vertrauen baut sich über verschiedene Wege auf: einem freundlichen Umgang miteinander, klare ­Vereinbarungen, aber auch Fürsorge. Was das ­Vertrauensverhältnis zwischen Ausbilder und Auszubildendem betrifft: Da sollte der Auszubildende erleben, dass es jemand wirklich gut mit ihm meint – auch mit seiner Kritik. Dass er fördern will, Anteil an der Entwicklung nimmt, aber zugleich fürsorglich ist.

Welche abschließenden Tipps haben Sie für das Ausbildungspersonal?

Wilhelm: Habe den Mut, etwas auszuprobieren und zu ­experimentieren beim Thema ­Führung.

Jessl: Glaube daran: Geteilte Führung ist bessere Führung. Denn gute Führung gelingt nur miteinander und profitiert von der Reflexion, wenn Menschen sich darüber austauschen.

Wilhelm: Vertraue auf Deine Mitarbeitenden. Und ­verschaffe Dir Klarheit über Deine Rolle, wenn Du führst und wenn Du folgst.

Zum Buch

„Shared Leadership. Zu mehr Engagement und besseren Ergebnissen dank geteilter Führung“ von Randolf Jessl und Thomas Wilhelm, 1. Auflage 2023, 300 Seiten, Haufe-Lexware. 

Teilen Sie diesen Beitrag mit Ihrem Netzwerk

Weitere Beiträge für Sie

Lust auf Position?

Impulse, Tipps und Ideen für ihre nachhaltige Fachkräftesicherung finden Sie auch im aktuellen Heft. POSITION richtet sich in erster Linie an Ausbilder, Prüfer und Personalverantwortliche in den IHK-Mitgliedsbetrieben. Die Bestellung erfolgt über Ihre IHK oder unseren Verlag.

magazin-faecher-dihk-position

Keine Ausgabe mehr verpassen

Sie wollen wichtige Impulse, Tipps und Ideen für Ihre nachhaltige Fachkräftesicherung regelmäßig auf Ihrem Schreibtisch haben? Als Ausbilder, Prüfer oder Personalverantwortlicher interessieren Sie sich für die zielgruppengerechten Angebote der IHK-Organisation zur Aus- und Weiterbildung und für bildungspolitische Vorschläge?

Nutzen Sie am besten und einfachsten das nebenstehende Aboformular – auch, wenn Sie POSITION nur mal unverbindlich testen wollen. Wir melden uns dann umgehend bei Ihnen!

Kontakt zur Redaktion

Wie gefällt Ihnen POSITION? Ihre kritischen wie wohlwollenden Hinweise interessieren uns sehr! Denn nur so erfahren wir, ob wir Ihnen mit unserem Magazin den gewünschten Mehrwert liefern und was wir noch besser machen können. Auch an Ihren Themenvorschlägen sind wir jederzeit interessiert. Deshalb: Vielen Dank, dass Sie mit uns in Kontakt treten wollen! Bitte füllen Sie die nebenstehenden Felder aus. Selbstverständlich wird jede Zuschrift vertraulich behandelt.