Alle Fäden in Azubi-Hand

Zwei Azubis des Unternehmens Juzo bei der Arbeit in der Azubi-Firma
Die Azubi-Firma bei der Arbeit: Hier werden Tagungsunterlagen für Kongresse zusammengestellt. © Juzo
Azubis, die eine eigene Firma leiten? Wie‘s gehen kann - und welche Vorteile das mit sich bringt – zeigt der Hersteller medizinischer Hilfsmittel Juzo. Das Unternehmen fördert so Selbstständigkeit und Teamgeist.
Agnes Mayer
Agnes Mayer
Freie Journalistin

Eine neue Kollektion, ein neuer Auftrag für die Azubi-Firma: Die aktuelle Kompressionsstrumpf-Mode aus dem Hause Juzo muss an die Schaufensterpuppen. Daher packen alle Lehrlinge bei den steifen Plastik-Gliedmaßen mit an – ganz egal, ob sie sonst eine Ausbildung im Büro, im Lager oder in der Nähwerkstatt machen. Seit acht Jahren erledigen sie so selbstständig und abteilungsübergreifend Aufgaben, für die man schnell viele helfende Hände benötigt. Davon profitiert das gesamte Unternehmen.

Der Entwurf: So entsteht die Azubi-Firma

„Einen klassischen Startschuss gab es nie“, erinnert sich Marion Huber. Ebenso wenig spricht die stellvertretende Personalleiterin bei Juzo von einer klassischen Azubi-Firma mit einem festgelegten Gewinnziel, wie es sie bei anderen Großunternehmen mit entsprechenden Ressourcen gibt. Vielmehr sei sie organisch gewachsen. Zu kleinen Einzelaufträgen gesellten sich mit der Zeit regelmäßige Aufgaben und größere Projekte. Gebündelt sind sie seit acht Jahren unter dem Namen „Azubi-Firma“. Verwaltet werden sie über ein zentrales Mail-Postfach, auf das alle Azubis Zugriff haben.

„Die Azubi-Firma stärkt das Wir-Gefühl unter allen. Gleichzeitig geben wir unseren Lehrlingen so die Gelegenheit, aus der typischen Azubi-Denke herauszukommen und ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.“

Marion Huber, Ausbildungsleitung

Die Anprobe: So testen sich Azubis als Selbstständige

Liegt im Posteingang ein neuer Auftrag, koordinieren sich die Lehrlinge dann selbstständig und stellen Teams zusammen. Wie viele der rund 30 Azubis bei Juzo braucht es für die Umsetzung? Welche Abteilung kann jemanden dafür freistellen? Wer übernimmt welche Arbeitsschritte? Darauf aufbauend, machen sie einen Plan, um alles im vorgegebenen Zeitrahmen fertigzustellen. Mal müssen Tagungsunterlagen für medizinische Symposien zusammengestellt, mal Kundengeschenke verpackt, mal ganze Veranstaltungen wie der jährliche Schüler-Informationstag organisiert werden.

Die Planung: So finden Azubis ihren (Führungs-)Stil

Als Azubi-Sprecherin war es oft Lea Fischer, die dabei den Überblick behielt. Die frisch ausgebildete Industriekauffrau hat diese Arbeit wesentlich weitergebracht. „Man kann nicht einfach so sein Ding machen, sondern muss die Aufgaben planerisch angehen und sich mit anderen absprechen“, erklärt sie. Die Azubi-Firma habe ihrem Selbstbewusstsein einen entscheidenden Schub gegeben und ihr gezeigt, dass es immer eine Lösung gebe – auch wenn es mal nicht so laufe wie geplant. Lea Fischer lernte so nicht nur ihre Mit-Azubis besser kennen, sondern auch Kollegen aus anderen Abteilungen.

Das Netzwerk: So stärkt die Azubi-Firma alle

Junge Menschen aus insgesamt 13 Ausbildungsberufen und drei dualen Studiengängen bringt das Projekt so zusammen. „Die Azubi-Firma stärkt das Wir-Gefühl unter allen. Gleichzeitig geben wir unseren Lehrlingen so die Gelegenheit, aus der typischen Azubi-Denke herauszukommen und ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln“, sagt Personalreferentin Marion Huber.

Der Gewinn: So profitiert das Unternehmens-Image

Christian Fischer geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn der Leiter für den Fachbereich Ausbildung bei der IHK Schwaben über die Vorteile einer Azubi-Firma spricht: „Die Verantwortung und auch Wertschätzung, die Azubis dabei gegeben wird, motiviert natürlich ungemein.“ Gleichzeitig brächte ein solches Angebot einen positiven Image-Effekt für das gesamte Unternehmen mit sich. Es profiliere sich so als moderner Ausbildungsbetrieb, der kreative Lösungsansätze fördere.

„Die Kollegen sind immer froh, auf die Azubi-Firma zurückgreifen zu können. Die Azubis freuen sich über die Abwechslung in ihrem Arbeitsalltag“, sagt Marion Huber. Zwar müsste die Azubi-Firma bei Juzo keinen realen Gewinn erwirtschaften, dafür würden im Gegensatz zu einem Planspiel aber ganz reale Aufgaben erledigt – als Gewinn für alle im Unternehmen.


Fünf Tipps zum Aufbau einer Azubi-Firma im eigenen Unternehmen

  • Geschäftsidee entwickeln: Eine Azubi-Firma muss nicht das Rad neu erfinden. Vielmehr sollte sie sich in bestehende Unternehmensstrukturen integrieren lassen.
  • Mitarbeiter involvieren: Um Azubis neue Einblicke zu geben, sollten Projekte verschiedene Bereiche überspannen und Kollegen aus allen Abteilungen einbinden.
  • Machbarkeit prüfen: Stecken Sie für die Azubi-Firma einen Projektrahmen ab, der die Azubis herausfordert, aber auch tatsächlich sinnvoll umsetzbar ist.
  • Sicherheitspuffer einbauen: Wenn Azubis selbstständig arbeiten, können auch mal Fehler passieren. Fristen dürfen daher nicht allzu streng gesetzt sein. 
  • Zuständigkeiten festlegen: Auch eine Azubi-Firma benötigt einen Boss. Das kann der Azubi-Sprecher sein, die Position kann aber auch immer wieder wechseln.

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