Fachkräftemangel im IT-Sektor: eine „Herakles-Aufgabe“

Stefan Barth, Geschäftsführer der tarent solutions GmbH in Bonn
Spürt den Fachkräftemangel im eigenen Softwareunternehmen „ganz stark“, arbeitet aber auch kontinuierlich an kreativen Lösungen, um neues Personal zu gewinnen: Stefan Barth, Geschäftsführer der tarent solutions GmbH in Bonn © Frank Homann
Immer mehr Stellen in deutschen IT-Betrieben bleiben unbesetzt: Laut dem aktuellen Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) suchen bereits 63 Prozent der Unternehmen in der Spitzentechnologie vergeblich nach Personal. Wie begegnen sie diesen Herausforderungen? Das Bonner Software-Unternehmen tarent solutions GmbH gibt Einblicke und Impulse, wie Fachkräftesicherung gelingen kann.
Antonia Borggrefe
Antonia Borggrefe
Webredakteurin mediamit GmbH

Der DIHK-Fachkräftereport zeichnet ein ernüchterndes Bild: Trotz der angespannten Wirtschaftslage können mehr als die Hälfte von fast 22.000 Unternehmen aus allen Branchen Lücken in der Belegschaft nicht zeitnah schließen. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, warnt: „Das Fehlen von Fachkräften belastet nicht nur die Betriebe, sondern gefährdet auch den Erfolg bei wichtigen Zukunftsaufgaben: Energiewende, Digitalisierung und Infrastrukturausbau.“

Besonders im Bereich der Spitzentechnologie wiegt das Fehlen von Expertinnen und Experten schwer, denn ohne ihre Kompetenzen kann der Strukturwandel nicht gelingen. Speziell der IT-Sektor kämpft schon seit Längerem mit einem Mangel an Nachwuchskräften und zugleich hoher Fluktuation innerhalb der Betriebe.

Vom Gehen, …

Das bestätigt auch Stefan Barth, Geschäftsführer der tarent solutions GmbH in Bonn: „Wir spüren den Mangel als Unternehmen ganz stark. In mehrerlei Hinsicht: Einmal ist es wirklich aufwendig, neue Mitarbeitende zu gewinnen. Da müssen wir viel investieren und auch sehr, sehr kreativ sein. Außerdem haben wir verstärkt festgestellt, dass wir eben auch Mitarbeiter verlieren – auch wenn es im Vergleich zum Branchendurchschnitt bei uns relativ wenige sind.“

Das Software-Unternehmen wurde 1998 gegründet und hat neben den Standorten in Bonn, Köln und Berlin noch eine Tochtergesellschaft in Bukarest, Rumänien. Neben dem klassischen Handwerk der Softwareentwicklung bietet tarent solutions heute auch Consulting-Dienste an. Die rund 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland möchte Barth natürlich im Idealfall im Unternehmen halten, doch es gibt Trends, die dies erschweren. So haben die Corona-Jahre die Bindung an den Betrieb weiter gelockert: Die tarent-Belegschaft kann deutschlandweit – zum Beispiel in Halle an der Saale, in Osnabrück oder in München – am heimischen Schreibtisch arbeiten; das verringert den Bezug zur Organisation und zum sozialen Umfeld am Arbeitsplatz. Als eine weitere Hürde führt der Geschäftsführer die Lohnspirale an: „Die Gehaltsentwicklung ist dramatisch. Wir erhöhen die Gehälter jährlich mindestens um durchschnittlich vier Prozent, im letzten Jahr waren es gar sechs Prozent. Nur so können wir als Mittelständler überhaupt mit den großen Konzernen mithalten.“

… vom Kommen …

Neben den Ansätzen, das Stammpersonal zu halten, arbeitet das Software-Unternehmen kontinuierlich an kreativen Lösungen, wie es neue Leute gewinnen kann. Zusätzlich zu breit angelegten Ausschreibungen auf den bekannten sozialen und Jobnetzwerken nutzt die Organisation mit tarent.jobs eine eigene Micropage: Hier erzählen die Mitarbeitenden persönlich von ihrem Berufsalltag und den Erfahrungen bei ihrem Arbeitgeber. Zudem ist der Betrieb bei regionalen Recruiting-Events sehr aktiv.

Den erfolgreichsten Kanal für die Personalgewinnung sieht Stefan Bahrt aber in der Ansprache von möglichen neuen Mitarbeitenden durch die eigenen Leute: „Das funktioniert am allerbesten“, berichtet er. „Wenn die Leute hier glücklich sind, sprechen sie Empfehlungen aus. Einer unserer Mitarbeiter hat so schon drei weitere Kollegen seines ehemaligen Arbeitgebers rekrutiert.“

… und vom Bleiben

Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden, die bleiben oder sogar von einem anderen Unternehmen wieder zu tarent solutions zurückkommen, führt Stefan Barth auf mehrere Faktoren zurück: die transparente Unternehmenskultur, die familiäre Atmosphäre in den Teams, die sozialen Events und vor allem das Weiterbildungsangebot. Hier hat sich die Software-Firma sogenannte „Herakles-Tage“ erdacht: Allen Mitarbeitenden stehen zwölf Tage zur Weiterbildung zu, die frei gestaltet werden können.

„Besonders im Bereich der Spitzentechnologie wiegt das Fehlen von Expertinnen und Experten schwer.“

Achim Dercks, stv. DIHK-Hauptgeschäftsführer

Möglich sei vieles: von der internen Fortbildung, in denen die verschiedenen Teams sich gegenseitig schulen, über den Besuch externer Workshops bis hin zum Heimstudium eines Buches zu einem Spezialthema. Barth setzt dabei auf die Eigenverantwortung seiner Belegschaft: Es werde nicht nachgehalten, wie diese Tage genutzt würden, und es erfolge auch keine Kontrolle durch die Führungskräfte. Wichtig sei die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, denn, so der Geschäftsführer: „Ohne Fortbildung geht es in der IT-Branche nicht.“

Woher den Nachwuchs nehmen?

Neue Mitarbeitende zu gewinnen, ist eine unternehmerische Daueraufgabe. Es bleibt jedoch auch das Grundsatzproblem, dass gerade in den MINT-Fächern und damit auch im IT-Sektor der Nachwuchs fehlt. In einer gemeinsamen Studie des Stifterverbandes und der Heinz Nixdorf Stiftung „Informatik für alle!“ wurde nachgewiesen, dass Schülerinnen und Schüler mit einem Pflichtfach Informatik die besten digitalen Kompetenzen aufweisen. Das stimmt hoffnungsvoll, denn für Stefan Barth sind seine Teams Gesinnungstäter: „Sie empfinden da echte Begeisterung – und an die kann man herangeführt werden.“ Vielleicht schafft das ein bundesweites Angebot an informatischer Bildung, diese Begeisterung in den jungen Menschen zu fördern.

DIHK-Fachkräftereport im Internet unter www.dihk.de

VIER TIPPS – So finden & binden Sie Fachkräfte

  1. Online und offline aktiv werden: Neben den einschlägigen Jobportalen nutzen Sie als Unternehmen passende Recruiting-Veranstaltungen und Azubi-Börsen. So entsteht erster persönlicher Kontakt mit Interessenten.
  2. Lassen Sie Ihre Belegschaft für sich werben: Als Testimonial geben die Mitarbeitenden authentische Einblicke in ihre Arbeit und zeigen, was ihnen an ihrem Job besonders gefällt.
  3. Mehr als nur die Weihnachtsfeier: Zusammen auch außerhalb des Tagesgeschäfts etwas als Team zu erleben, stärkt das Miteinander und damit die Beziehung zum Arbeitsplatz.
  4. Geld ist nicht alles: Eine offene, familienfreundliche Unternehmenskultur mit individuellen Freiheiten wirkt sich positiver aus als die reine Gehaltserhöhung.

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