Was ist Ihr Eindruck, hat sich der Druck auf Führungskräfte verschärft?
Ganz gewiss. Viele Führungskräfte sind zunehmend stärker ins operative Tagesgeschäft eingebunden und müssen sehr kleinteilige Aufgaben erledigen. Häufig heißt es nur, Löcher stopfen und Baustellen begrenzen. Einer meiner Klienten erzählte mir, dass er so viele Mails bearbeiten muss, dass er sich als Tagesziel gesetzt hat, 100 Mails abgearbeitet zu haben. Tatsächlich hätte er lieber konzeptionell an Themen gearbeitet und sich mehr Zeit für die Teamentwicklung gewünscht. Und diesen Druck erleben natürlich auch Teamleiter oder Führungskräfte, die sich um Auszubildende kümmern müssen.
Woher kommt dieser Druck
Die Kommunikation ist allgemein schneller und dynamischer geworden, die Reaktionszeit entsprechend kürzer. Dadurch steigt die Belastung. Auf der Strecke bleibt dann die Zeit für Strategien oder Themenplanung. Führung findet nur eingeschränkt oder gar nicht statt. Im schlechtesten Fall wird dadurch die Kommunikation mit den eigenen Mitarbeitenden eine Sache zwischen Tür und Angel. Wenn dann noch mangelnde Anerkennung durch die eigene Führungsebene dazu kommt, geht die Motivation sehr schnell unter. Auch das ist sehr oft ein Zeitproblem: Wir vergessen, Erfolge zu feiern und kurz innezuhalten. Für Wertschätzung ist im hektischen Berufsalltag häufig kein Raum mehr vorhanden.
Was kann man selbst in so einer Situation verbessern?
Es ist sehr wichtig, sich seine eigene Haltung bewusst zu machen und Klarheit über die eigenen Ziele zu finden. Sich nicht nur treiben zu lassen, sondern die Prioritäten selbst zu setzen. Das funktioniert mit einem ganz simplen Trick: Setzen Sie sich einen Blocker in den Kalender, um den Arbeitsfluss bewusst für eine Reflexion zu unterbrechen. Zum Beispiel zum Abschluss einer Woche: Was ist im Umgang mit meinen Azubis gut gelaufen, was schlecht, wen habe ich wie wahrgenommen? Für andere ist so ein Blocker beim Start in die Woche sinnvoll, um die Zeit für die anstehenden Aufgaben, Teamgespräche und individuellen Austausch mit den Azubis zu planen. Es geht um die bewusste Unterbrechung des „Automatikmodus“, und hier sollte jeder für sich eine passende Form finden.
Trotzdem kommt es immer wieder zu Stress-Situationen, in denen es gar nicht so einfach ist, die Nerven zu behalten. Gibt es da auch einen einfachen Trick, damit solche Situationen nicht eskalieren?
Die Kunst ist generell, sich selbst und die Reaktion der anderen mit einer inneren Distanz wahrzunehmen. Das kann man üben. Als schnelle Intervention ist es sinnvoll, Druck rauszunehmen. Also eine eskalierende Situation zunächst zu beenden und dann mit mehr Abstand das Problem zu klären.
Führung darf kein Nebenjob sein. Gerade in der Ausbildung gehört sehr viel Empathie und Reflexion dazu. Wenn dazu die Zeit fehlt, ist es wichtig, zu der eigenen Führungskraft zu gehen, diese einzufordern oder hierfür selbst Freiräume zu schaffen. Klare Regeln und Grenzen gelten dann auch gegenüber den Azubis. Hier kann man gemeinsam überlegen, welche Kommunikationskanäle verwenden wir und wann, zum Beispiel keine Mails oder WhatsApp mehr nach Feierabend. Dafür regelmäßige Austausch-Termine, in denen auch darüber gesprochen wird, wie es den Mitarbeitenden geht, was sie für Wünsche und Befürchtungen haben. Also viel mehr als eine reine Aufgabenverteilung.
Wie definieren Sie gute Führung?
Ich definiere Führung als das wirkungsvolle Management guter Beziehungen. Die Beziehungsebene ist sehr wichtig, und die eigene Haltung, die bei einer Führungskraft immer von einem positiven Menschenbild geprägt sein sollte. Gegenseitiges Vertrauen, echt sein, verlässlich sein sind Eigenschaften, die Mitarbeitern Halt und Sicherheit geben. Ist die Beziehungsebene zwischen Führungskräften oder Ausbildern und Mitarbeitern stark, dann können auch mal die Fetzen fliegen, ohne dass das Vertrauen oder sogar der ganze Job sofort infrage gestellt werden.
Das hört sich sehr heraus-fordernd an. Wie kann man als Führungskraft gut für sich selbst sorgen?
Es ist hilfreich, sich regelmäßig Zeiten für eine Selbstreflexion zu nehmen und sich zu fragen: Wie geht es mir eigentlich in dieser bestimmten Situation? Selbstwahrnehmung ist der erste Schritt, um etwas zu verändern. Die Hebel zur Selbstfürsorge sind individuell verschieden: Es kann auch sein, dass der Job so toll ist, dass gar keine Zeit für Privates bleibt und einen das auf Dauer auslaugt. Die Balance zwischen den einzelnen Lebensbereichen ist je nach Arbeits- und Lebenssituation verschieden, es gibt kein Patentrezept wie „Dreimal ein- und ausatmen“. Auch hier gilt: Die eigenen Bedürfnisse und Werte ernst nehmen und überprüfen, wie passt das gerade mit meinem Job, meinem Privatleben, meiner Gesundheit und meinen beruflichen Plänen zusammen? Bin ich als Mensch in diesem Arbeitsumfeld richtig, und kann ich meine Stärken und Fähigkeiten in diesen Job einbringen? Aus diesen Überlegungen ergeben sich dann mögliche Handlungsfelder.
Welche Anforderungen stellt die junge Generation an eine Führungskraft?
Ich sehe, dass vielen jungen Menschen Freiheit in Sicherheit im Beruf wichtig ist. Auf der einen Seite ist viel Flexibilität gewünscht und eine sogenannte lange Leine. Auf der anderen Seite brauchen junge Menschen viel Halt und Feedback, sie wollen immer genau wissen, was zu tun ist, und der Chef oder die Chefin soll auf jeden Fall die Verantwortung übernehmen. Die junge Generation neigt nicht so sehr dazu, Konflikte lange auszuhalten, sondern sie geht einfach zum nächsten Job, wenn es für sie persönlich nicht passt. Das ist eine große Herausforderung für die Unternehmenskultur, weil einige der jungen Leute ein ganz anderes Verständnis von Arbeit haben als die Generationen davor.
Auch hier gilt: Eine Führungskraft, die sich ihrer eigenen Werte bewusst ist, kann leichter auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen. Die jungen Menschen sind in ihren Bedürfnissen innerhalb der aufgezeigten Parameter individuell sehr unterschiedlich. Wer zuhört und im gemeinsamen Gespräch herausfindet, was die andere Person braucht, um gut arbeiten zu können, ist auf einem guten Weg. Junge Menschen sind häufig sehr klar in ihren Vorstellungen. Eine Führungskraft, die sich ebenso klar über die eigenen Werte und Grenzen ist, kann diese jungen Kolleginnen und Kollegen dann gut individuell leiten. Wertschätzung bedeutet für mich, die Werte anderer zu schätzen. All das braucht Zeit und Selbstreflexion, anders funktioniert es nicht.
Am Rande des Nervenzusammenbruchs?
Von Susanne Hartmann
Kompetent und immer auf dem neuesten Stand: Ansprechbar für die Azubis möglichst rund um die Uhr. Innerhalb des Unternehmens sind Ausbilderinnen und Ausbilder verlässlich, kompetentund stets offen für Neues. Doch wie sieht es im Inneren aus? Wer unter hoher Belastung leidet, kann oft lange auf externe Hilfe warten. Daher ist es viel besser, sich selbst zu helfen. Das Stichwort lautet: Selbstfürsorge.
Das Wohlergehen der Auszubildenden steht in vielen Betrieben ganz oben auf der Agenda. Aber wie geht es den Ausbilderinnen und Ausbildern? Man könnte meinen, es sei ein toller Job, ständig mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten und eine wichtige Rolle für die Zukunft des Unternehmens zu spielen. Und das ist er auch. Aber wenn – wie Statistiken der Krankenkassen belegen – die Krankmeldungen aufgrund von psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren stark gestiegen sind, dann ging diese Entwicklung sicherlich auch nicht spurlos am Ausbildungspersonal vorbei. Gründe dafür mögen unter anderem in gestiegenen Anforderungen bei der Betreuung der Azubis im pädagogischen, inhaltlichen, didaktischen und im administrativen Bereich liegen.
Ständige Weiterbildung wichtig
Dabei hat auch die Digitalisierung die Ausbildung in den Betrieben stark verändert – und somit den Druck auf das Ausbildungspersonal erhöht, sich stetig weiterzubilden. Was sind Gegenmaßnahmen? An wen kann man sich wenden? Zuallererst: an sich selbst! Wie die eigene Balance aussieht, ist individuell komplett verschieden. Eine Reflexion darüber bringt jedoch erste Anhaltspunkte, welcher Bereich zu kurz kommt. Häufig ist diese Erkenntnis der erste Schritt, an der eigenen Situation etwas zu ändern. Nur wer seine eigenen Kräfte gesund einsetzt, kann ein Vorbild für die Auszubildenden sein.