Konflikte im Ausbildungsalltag sind keine Seltenheit. Wenn Auszubildende mit den Erwartungen überfordert sind, sich nicht ernst genommen fühlen oder sich nicht trauen, nachzufragen, können daraus schnell Spannungen entstehen. Umgekehrt geraten Ausbilder an ihre Grenzen, wenn Absprachen nicht eingehalten oder Aufgaben nicht zuverlässig erledigt werden. Wie kann man mit solchen Situationen umgehen – und was hilft, damit es gar nicht erst so weit kommt? Die größte Gefahr besteht laut Peter Meussen darin, Konflikte zu ignorieren oder zu hoffen, dass sie sich von selbst lösen. „Wenn ich nicht reagiere, signalisiere ich, dass die Situation akzeptabel ist“, sagt Meussen, Berater für Personalentwicklung und Ausbildungsmanagement bei Emendo Leadership Consultants. Stattdessen brauche es Klarheit, Konsequenz und eine gute Gesprächskultur. Denn: „Wer frühzeitig in den Dialog geht, kann vieles auffangen, bevor es eskaliert.“
Einen echten Austausch ermöglichen – und Maßnahmen notieren
Doch wie gelingt ein konstruktives Gespräch auf Augenhöhe? Lars Thiele, Führungskräfte-Coach und Geschäftsführer von Emendo, empfiehlt, strukturiert und lösungsorientiert vorzugehen. „Zuerst sollten Ausbilder sich fragen: Was ist eigentlich mein Ziel? Was genau stört mich und was wünsche ich mir anders?“, sagt Thiele, der in seinen Coachings häufig Konfliktgespräche simuliert. Ziel sei es, einen echten Austausch zu ermöglichen, ohne verbale Angriffe oder Vorwürfe. „Ein guter Gesprächseinstieg ist: Worauf bist du stolz? Was läuft aus deiner Sicht gut? Dann kann ich dazu übergehen, den Azubi zu fragen: Was möchtest du verbessern – und wie wollen wir das gemeinsam angehen?“ Anschließend sollten die beschlossenen Maßnahmen schriftlich festgehalten werden, rät Thiele. Neben persönlichen Gesprächen brauche es außerdem verlässliche Rahmenbedingungen – etwa regelmäßige Feedbackrunden, nachvollziehbare Regeln und ein ehrliches Interesse an der Sichtweise der Auszubildenden.
Die Situation spitzt sich zu? Wie wär’s mit Coaching?
„Statt von Konflikten spreche ich lieber erst einmal von Herausforderungen“, sagt Sabrina Heinze, Leiterin der Aus- und Weiterbildung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Zum Beispiel, wenn ein Auszubildender Schwierigkeiten hat, morgens pünktlich zu sein. Vielleicht muss er sich einfach erst daran gewöhnen, um sieben Uhr in der Werkstatt zu stehen, statt um acht Uhr, wie er es aus der Schule kannte.“ Wenn sich eine Situation zuspitzt, können Auszubildende und Ausbilder am KIT auf eine besondere Unterstützung zurückgreifen: das Ausbildungscoaching. Eine neutrale Fachkraft nimmt den Fall unter die Lupe, führt Gespräche, hospitiert im Alltag und gibt anschließend Rückmeldung, was aus ihrer Sicht hinter dem Konflikt steckt. „Der Blick von außen hilft enorm, Muster zu erkennen und Lösungen zu finden.“
Damit Konflikte gar nicht erst eskalieren, plädiert Heinze für eine offene und wertschätzende Kommunikation im Ausbildungsalltag. „Wenn mir etwas nicht gefällt und ich den Azubi deshalb anmeckere, ist der Konflikt vorprogrammiert. Kritik kann ich auch in einem freundlichen Ton äußern“, sagt die Ausbildungsleiterin. „Das heißt aber nicht, dass sich Wertschätzung und Konsequenz ausschließen. Wenn jemand immer wieder unpünktlich ist und das mehrfach angesprochen wurde, muss das auch Folgen haben – zum Beispiel: kein Homeoffice mehr.“ Neben dem Ausbildungscoaching setzt Heinze auf weitere Angebote zur Unterstützung von Auszubildenden und Ausbildern: Werte-Workshops, Kommunikationstrainings, regelmäßige Ausbildertreffen und halbjährliche Feedbackgespräche. Ein neu entwickeltes Planspiel soll zudem helfen, eigene Haltungen zu reflektieren und die Perspektive der jeweils anderen Seite besser nachzuvollziehen.
Junge Menschen anders an die Arbeit heranführen
„Manchmal geht es bei Konflikten weniger um die Sache als um unterschiedliche Wertvorstellungen“, sagt Thiele. Laut dem Coach hängt das auch mit den verschiedenen Wertesystemen der Generationen zusammen. Was die Babyboomer oder Angehörige der Generation X noch motivierte – etwa Karriere, Status oder Pflichterfüllung –, lockt viele Auszubildende der Generation Z kaum noch hinter dem Ofen hervor. „Es ist ein Irrglaube, dass junge Menschen nicht arbeiten wollen und nicht leistungsfähig sind. Sie müssen jedoch anders an die Arbeit herangeführt werden. Früher haben Auszubildende einfach das gemacht, was man ihnen gesagt hat. Heute wollen sie wissen, warum sie etwas tun sollen.“
An Konflikten kann man wachsen
Für Ausbildungsleiterin Heinze ist klar : Konflikte sind keine Ausnahme, sondern Alltag. „Wir wollen, dass unsere Auszubildenden am Ende der Ausbildung gefestigte Persönlichkeiten sind. Dazu gehören auch Reibung und Wachstum.“ Die Bereitschaft, Konflikte anzunehmen und etwas Gutes daraus wachsen zu lassen, ist für sie deshalb eine Grundvoraussetzung in der Ausbildung. „Wenn es mir gelingt, Konflikte gut zu bewältigen, kann ich daran viel schneller wachsen und viel mehr lernen als aus positiven Situationen“, sagt Heinze. „Eine unserer Auszubildenden hatte anfangs große Schwierigkeiten und wir waren uns nicht sicher, ob sie die Ausbildung schaffen würde. Also sind wir mit ihr ins Gespräch gegangen und haben sie gefragt: Was bewegt sie? Was braucht sie? Innerhalb eines Jahres hat sie eine enorme Entwicklung gemacht.“ Solche Erfahrungen sind nicht nur für die Auszubildenden prägend. „Für die Ausbilder ist das ein Motivationsschub hoch 20.“
Richtig begleitet, bergen Konflikte ein großes Entwicklungspotenzial für beide Seiten. „Viele junge Menschen kennen Austausch und Konfliktbewältigung nur über Messengerdienste oder soziale Medien“, sagt Meussen. „Deshalb ist es wichtig, sie frühzeitig in echte Gesprächssituationen zu bringen, in denen sie lernen, wie man sich konstruktiv streitet.“ Ausbildungsverantwortliche hätten dabei eine zentrale Rolle: „Wenn ich als Ausbilder Konflikte gut und lösungsorientiert angehe, kann ich dem Azubi ein positives Beispiel geben – und zeigen, dass sich Spannungen klären lassen, ohne dass das Ausbildungsverhältnis dauerhaft belastet wird.“
Praxistaugliche Tipps für AusbilderKonflikte souverän meistern
Klarheit in der eigenen Rolle finden
- Methoden zur Gesprächsführung können unterstützen, entscheidend ist jedoch die innere Haltung, mit der Ausbilder einem Konflikt begegnen. Beginnen Sie bei sich selbst: Wer bin ich in dieser Situation – Fachkraft, Ausbilder, Zuhörer, Lernbegleiter?
- Stellen Sie sich vor einem Gespräch innerlich und körperlich auf die jeweilige Rolle ein, z. B. durch eine kurze Pause, einen bewussten Atemzug oder eine klare innere Ansage : „Jetzt bin ich in der Rolle der Lernbegleiterin.“ Das schafft Klarheit und reduziert emotionale Reibung.
Die eigene Wahrnehmung schärfen
- Begegnen Sie Ihrem ersten Eindruck mit Skepsis – er ist oft oberflächlich und selten repräsentativ für die gesamte Persönlichkeit eines Menschen. Wer sich die Zeit nimmt, genau hinzusehen, entdeckt oft Stärken, die auf den ersten Blick verborgen bleiben.
- Machen Sie sich bewusst, dass es einen Unterschied zwischen Beobachten und Bewerten gibt und urteilen Sie nicht vorschnell.
Kommunikation konkret machen
- Formulieren Sie Ich-Botschaften statt Appelle: „Mir ist aufgefallen, dass…“ statt „Du bist …“.
- Gestalten Sie Feedback als Dialog. Dazu bieten sich Fragen an wie: Worauf bist du gerade besonders stolz? Fühlst du dich gut eingebunden? Wo möchtest du dich als Nächstes weiterentwickeln?
- Erkennen Sie verschiedene Kommunikationstypen und gehen sie auf ihre Bedürfnisse ein: Wer denkt beim Sprechen? Wer braucht Bedenkzeit, um auf eine Frage zu antworten?
Außerdem hilfreich: Rituale und Routinen einführen
- Täglicher oder wöchentlicher Check-In: Was war heute dein größter Erfolg? Was ist dir gelungen?
- Nach jeder Aufgabe Rücksprache halten: Was ist gut gelaufen? Was war schwierig? Was würdest du beim nächsten Mal anders machen? Was brauchst du dafür?
- Sprachliche Feinjustierung: „Versuch“ statt „Fehler“, „Thema“ statt „Problem“
- Feedbackformel: Erst Lob, dann Ausblick – „Das war gut, weil … Achte beim nächsten Mal auf …“