Wieder mehr Spaß an der Ausbildung

Freude am Arbeitsplatz
Erhalten Auszubildende regelmäßig Feedback auf ihre Arbeit, dann kann das mit dazu beitragen, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen zu stärken. Und: dass die Arbeit wieder mehr Spaß macht! © katleho seisa/GettyImages
Ob Corona, Ukraine-Krieg, persönliche Trauer oder Krankheit in der Familie: Die Gründe für Ängste und Unsicherheiten bei jungen Menschen sind vielfältig. Wichtig ist, dass Azubis dabei nicht aus der Bahn geworfen werden. Das Ausbildungspersonal sollte deshalb stets wachsam sein und für regelmäßige Gesprächsangebote sorgen.
Sabine Schritt
Sabine Schritt
Freie Journalistin

Kann ich überhaupt noch lange in dem Beruf arbeiten, den ich gerade lerne? Werde ich in dieser Welt noch eine Familie gründen können? „Die Probleme der Azubis haben tatsächlich oft weder mit der Arbeit noch mit dem Betrieb zu tun“, sagt die Soziotherapeutin Pia-Maria Rieke, die mit der psychologischen Beratungspraxis „Lösungsraum“ das Projekt „Azubis in Krisensituationen“ der IHK Siegen betreut. Doch viele Unternehmen seien nicht auf die Probleme vorbereitet. „Wenn in drei Jahren Ausbildung ganze drei Gespräche geführt werden – das kommt leider immer noch vor – kann man keine Krisen bemerken“, mahnt Rieke. Azubis bräuchten eine Regelmäßigkeit im Gespräch, um je nach persönlichen Erfahrungen überhaupt Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen entwickeln zu können. „Sie brauchen Feedback, in dem ihre Selbstwirksamkeit reflektiert wird: Was war mein Beitrag, dass diese Aufgabe erledigt werden konnte? Was hat meinem Ausbilder daran gefallen, welche Stärken erkennt er oder sie in mir?“

Probleme nicht unterschätzen

Manuela Stahl von der Ausbildungsberatung der IHK Siegen warnt davor, psychische Belastungen bei Azubis zu unterschätzen. Sie weiß von einem Suizid eines jungen Mädchens und will mit dem Projekt „Azubis in Krisensituationen“ mit fachkundigen Partnern an der Seite dazu beitragen, dass Jugendlichen rechtzeitig und fachkundig geholfen wird. „Wir hatten festgestellt, dass wir bei der IHK die nötige Unterstützung allein nicht mehr stemmen konnten“, berichtet Stahl. Die Kammer sei neutrale Anlaufstelle – in den letzten Jahren hätten die Rückmeldungen über psychische Belastungserscheinungen bei den Azubis jedoch immer weiter zugenommen. „Wir waren an einem Punkt angekommen, an dem wir uns eingestehen mussten: In dieser Tiefe können wir nicht mehr beraten“, erzählt Stahl. „Wenn es um psychologische Probleme oder psychische Erkrankungen geht, kommen wir an unsere Grenzen.“ So ging im Januar 2021 das Projekt als niederschwelliges Angebot an den Start, in dessen Rahmen Betroffene schnell und anonym erste Hilfe finden können.

Rund 50 Hilfesuchende haben sich seitdem an die Ansprechpartner des Projekts gewendet. Coronabedingt sei auch der Unterstützungsbedarf in den Betrieben durch das Ausbildungspersonal gestiegen. Ausbilder nähmen zudem eine wichtige Mittlerfunktion ein, wenn es darum gehe, Azubis konkrete Hilfsangebote zu empfehlen. „Es müssen nicht immer psychische Erkrankungen vorliegen. Familiäre Sorgen, finanzielle Nöte, aber auch der erste Liebeskummer können den Alltag betroffener Jugendlicher erheblich beeinträchtigen», so Stahl. Wichtig sei es, zügig zu reagieren und den Betroffenen das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein. Oft könnten die Jugendlichen so schnell wieder zurückfinden zu Lebensfreude und Spaß an der Ausbildung. „Der Bedarf wächst, und Ausbildungspersonal sowie Azubis muss schnell und nachhaltig geholfen werden.“


Beziehung aufbauen, Verständnis zeigen

Diplom-Sozialarbeiterin Katrin Ahrens ist „Soulworker“ und Coach mit den Schwerpunkten mentale und psychische Gesundheit sowie eine Partnerin des Projekts „Azubis in Krisensituationen“ der IHK Siegen. Hier ihre Tipps für das Ausbildungspersonal, um Belastungssituationen von Azubis zu erkennen und vorzubeugen:

  • Bleiben Sie mit den Azubis im Gespräch. Eine stabile Beziehung und regelmäßige Gespräche sind der Schlüssel, um Krisensituationen rechtzeitig zu erkennen.
  • Zeigen Sie Verständnis für die alltäglichen Herausforderungen, die ein Azubi zu bewältigen hat.
  • Geben Sie regelmäßige Feedbacks, in dem auch der Beitrag jedes einzelnen Azubis zu einer Aufgabe thematisiert wird. Das stärkt das Gefühl der Selbstwirksamkeit.
  • Sorgen Sie in einem Fürsorgegespräch mit einem Azubi für die nötige Abgrenzung zu eigenen, eventuell ähnlichen Erfahrungen, um vorurteilsfrei und aus neutraler Position zuhören zu können. Sollte dies nicht möglich sein, bitten Sie lieber einen Kollegen, das Gespräch zu übernehmen.
  • Seien Sie wachsam, wenn sich das Verhalten eines Azubis plötzlich verändert. Auch hinter häufigem Zuspätkommen kann ein ernstes Problem stecken.
  • Es braucht nicht immer eine Diagnose, wenn es um Auffälligkeiten geht. Sie können sich mit Skalierungen und einfachen Fragen ein besseres Bild machen. Zum Beispiel: „Wie geht es Dir heute auf einer Skala von eins bis zehn“?
  • Seien Sie vorbereitet: Erkundigen Sie sich nach Beratungsstellen in der Nähe, an die sich Azubis aus ihrem Betrieb bei Problemen wenden können.
  • Fördern Sie das Kennenlernen und den Austausch der Azubis untereinander. Analoges Netzwerken stärkt die Resilienz und ist ein guter Gegenpart zu den sozialen Medien, in denen mit „Likes“ viel Druck aufgebaut wird.
  • Organisieren Sie Gelegenheiten, an denen Sie mit den Azubis außerhalb der Arbeitsumgebung zusammenkommen, zum Beispiel Azubi-Kick-off-Veranstaltungen oder Seminare zu Gesundheitsthemen.
  • Stärken Sie sich selbst! Als Ausbilder sollten Sie auch Ihre eigene Rolle reflektieren und auch die eigenen (psychischen) Grenzen in Krisensituationen kennen.

Weitere Informationen

Das Projekt „Azubis in Krisensituationen“ auf der Homepageder IHK Siegen

www.ihk-siegen.de/ausbildung-fortbildung-und-studium/auszubildende-in-krisensituationen/

Wenn etwas in der Ausbildung schiefläuft, sind die Experten in den IHKs in allen Angelegenheiten erste Ansprechpartner. Sie kennen Konfliktstrukturen und Lösungswege, können als neutrale Instanz die Wogen glätten und sind mit den rechtlichen Gegebenheiten vertraut.

www.ihk.de

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