Sicherheit und Gesundheit in der Ausbildung: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

Sicherheitstrainings mit VR-Brille
Sicherheitstrainings mit VR-Brille, Armbänder, die körperliche Belastungen dokumentieren, Azubi-Podcasts, die über Gefahren aufklären – die Maßnahmen, um Azubis für Gefährdungen am Arbeitsplatz zu sensibilisieren, werden digitaler und interaktiver. © Andreas Wiese
Junge Arbeitnehmer sind besonders gefährdet, wenn es um Unfälle oder gesundheitsschädliches Verhalten am Arbeitsplatz geht. Um Azubis für Risiken zu sensibilisieren – und somit für mehr Sicherheit zu sorgen – lassen sich Gefahren heutzutage praxisnah simulieren.
Sylvia Rollmann
Sylvia Rollmann
Freie Journalistin © Karin Maigut

Prellungen, Knochenbrüche, Stich-, Schürf- und Schnittwunden – kommt es am oder auf dem Weg zum Arbeitsplatz zu Verletzungen, sind davon oft junge Arbeitnehmer betroffen. Laut Statistik zum Arbeitsunfallgeschehen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hatten Auszubildende allein im Jahr 2021 rund 31.400 meldepflichtige Unfälle. Und die Zahlen belegen auch: Beschäftigte unter 25 Jahren werden deutlich häufiger verletzt als ihre älteren Kollegen.

„Für Auszubildende beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ihnen fehlt die Erfahrung, das Wissen und manchmal auch die Reife, um sich in einem Betrieb sicher zu bewegen.“

Norbert Woehlke, Berufsgenossenschaft BGHW

„Für Auszubildende beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ihnen fehlt die Erfahrung, das Wissen und manchmal auch die Reife, um sich in einem Betrieb sicher zu bewegen“, erklärt Norbert Woehlke, zuständig für Ausbildung und Qualifizierung bei der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW). Gefahren würden häufig falsch eingeschätzt oder nicht wahrgenommen, oft führten auch falsche körperliche Belastungen, Stress oder Erfolgsdruck zu Erkrankungen und Fehlzeiten. „Berufseinsteiger müssen lernen, Gefährdungen zu erkennen – je früher, desto besser“, sagt Woehlke, denn gerade die Anfänge der beruflichen Karriere hätten großen Einfluss auf spätere Verhaltensweisen.

Ob Konzern oder Kleinstbetrieb – per Gesetz sind alle Unternehmen verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor Krankheit und Unfall zu schützen. Bei der Duisburger Collin-Gruppe, einem Großhändler für Haus- und Gebäudetechnik mit 900 Beschäftigten, gibt es neben der Pflicht auch die Kür. Jeder der rund 100 Azubis erhält regelmäßige Sicherheitsunterweisungen und lernt im ersten Jahr bei einem Workshop, mit den neuen körperlichen und psychischen Belastungen umzugehen. Weil gerade im Großlager das Unfallrisiko hoch ist, können Auszubildende dort zusätzlich einen Führerschein für Gabelstapler oder Krananlagen machen. Bei Fragen und Sorgen hilft ein Pate, der jedem Azubi zur Seite gestellt wird.

„Mitarbeiter, die früh und nachhaltig lernen, gesund und sicher zu arbeiten, sind nicht nur seltener krank, sie sind auch motivierter und produktiver“, sagt Torben Holthausen, verantwortlich für die Ausbildung der Fachkräfte für Lagerlogistik am Standort Duisburg. Er weiß: Je praxisnäher die Maßnahmen, desto effektiver. Deshalb kooperiert Collin bei der Präventionsarbeit mit der BGHW, die im März erstmals ihren Showtruck zum Betriebsgelände schickte. Unter Anleitung der BG-Experten konnten die Collin-Azubis damit Unfälle und Gesundheitsgefahren auf dem Pedelec, dem Rutschsimulator und im virtuellen Lager simulieren. „Wer das Stolpern, Rutschen und Stürzen oder die Bremskräfte von Zweirädern live erlebt, ist im Alltag für solche Gefährdungen sensibler“, meint Holthausen und ergänzt: „Wenn dabei nur ein oder zwei Teilnehmer ein echtes Interesse entwickeln und das Themavielleicht sogar als Ersthelfer oder Sicherheitsbeauftragte in die Belegschaft tragen, dann ist das ein großer Erfolg.“

„Mitarbeiter, die früh und nachhaltig lernen, gesund und sicher zu arbeiten, sind nicht nur seltener krank, sie sind auch motivierter und produktiver.“

Torben Holthausen, Ausbildungsverantwortlicher der Fachkräfte für Lagerlogistik bei Collin in Duisburg

Bei Auszubildenden kommen Aktionen wie diese gut an, das zumindest lässt eine Forsa-Umfrage der DGUV von 2021 vermuten. Dabei wünschten sich 72 Prozent der befragten Azubis klare Regeln zum Arbeitsschutz, 63 Prozent wünschten sich mehr Wissen und Austausch. „Die Betriebe nehmen diese Erwartungen ernst und thematisieren das zu Beginn und während der Ausbildung, um ihre Mitarbeitenden zu schützen“, berichtet Simon Grupe, Referatsleiter Kaufmännische Berufe bei der DIHK. Obwohl die Herausforderungen gerade für KMU groß seien, gehe das Engagement oft über das gesetzliche Maß hinaus.

Sicherheitstrainings mit VR-Brille, Armbänder, die körperliche Belastungen dokumentieren, Azubi-Podcasts, die über Gefahren aufklären – „die Maßnahmen werden digitaler und interaktiver“, sagt Grupe, das wirke sich positiv auf die Akzeptanz und das Arbeitgeberimage aus. Denn: „Unternehmen, die sich aktiv um das Wohl ihrer Belegschaft bemühen, sind attraktiver für potenzielle Bewerber und die bestehende Belegschaft.“

Doch kreative Aktionen allein reichen nicht aus. „Führungskräfte müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn der Chef keine Schutzausrüstung trägt, werden es die Mitarbeitenden auch nicht tun“, mahnt Norbert Woehlke von der BGHW, und er macht Mut: „Schon kleine Veränderungen in den alltäglichen Abläufen und der respektvolle, offene Dialog über Gefährdungen können viel bewirken.“

Wie am besten vorbeugen?
Einiges kann, anderes muss der Betrieb beim Thema Sicherheit und Gesundheit leisten

  • Pflicht. Azubis müssen über Gefährdungen am Arbeitsplatz und Schutzmaßnahmen unterwiesen werden, bevor sie in einen neuen Ausbildungsbereich wechseln. Das Ausbilderteam muss klären, wer diese Aufgabe vor Ort übernimmt. Die Unterweisungen müssen regelmäßig wiederholt werden. Die in allen Ausbildungsverordnungen enthaltene Standardberufsbildposition „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ formuliert, welche Mindestkompetenzen Betriebe ihren Auszubildenden vermitteln müssen. Seit Modernisierung der Inhalte im Jahr 2021 gehören dazu auch der Arbeitsweg, ergonomische Arbeitsweisen, Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen sowie von psychischen und physischen Belastungen. Darüber hinaus gelten die allgemeinen Vorschriften des Arbeits- bzw. des Jugendarbeitsschutzgesetzes.
  • Vermittlung. Unternehmen, die ihre Azubis altersgerecht schulen und aktiv an Verbesserungen des Arbeitsschutzes beteiligen, können ihre Präventionskultur nachhaltig verbessern. Dabei gilt: je interaktiver und praxisnäher die Maßnahmen, desto besser. Selbstgedrehte Filme, Podcasts, gemeinsam erarbeitete Lösungen, die zu mehr Sicherheit führen, oder Azubi-Botschafter, die das Thema in die Belegschaft tragen, führen zu mehr Akzeptanz und Lernerfolg. Trockene Frontalvorträge oder Unterweisungen mit erhobenem Zeigefinger sind passé. Die junge Generation wünscht sich eine respektvolle, offene Kommunikation auf Augenhöhe.
  • Unterstützung. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und Berufsgenossenschaften wie die BGHW haben multimediales Info- und Schulungsmaterial zusammengestellt, mit dem Arbeitgeber, Ausbilder und Berufsschullehrer das Bewusstsein ihrer Azubis für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz stärken können. Auf Anfrage helfen Experten bei der Planung von Projekten, begleiten Schwerpunktaktionen, informieren über Seminare und Weiterbildungen. Einige Maßnahmen – wie Sicherheitstrainings oder Nachrüstungen – werden von den Berufsgenossenschaften finanziell gefördert. Individuelle Beratung, Infoblätter und Leitfäden gibt es auch bei den IHKs vor Ort.
  • www.dguv.de/ www.ihk.de

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