„Hier steht der Lernende im Zentrum“

„Hier steht der Lernende im Zentrum“
Ein agiles Team: Kathrin Scharmach (Mitte) und Eugen Zimmermann (links) machen beim Pharmadienstleister Vetter in Ravensburg eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer und arbeiten nach dem Vier- Augen-Prinzip. Ausbilder Dennis Lieb setzt auf agiles Lernen und lässt den Auszubildenden viele Freiheiten © Rolf Schultes
Corona, Klima und Krieg: Die Welt befindet sich im Wandel und verändert auch unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu lernen. Immer mehr Unternehmen setzen dabei auf „agiles Lernen“. Was das ist, wie es in der Ausbildung funktioniert und warum es das Engagement der Azubis fördert, zeigt ein Beispiel aus Ravensburg.
Elke Zapf
Elke Zapf
Freie Journalistin

Kathrin Scharmach und Eugen Zimmermann könnten unterschiedlicher nicht sein: Sie ist 43, Mutter einer fast erwachsenen Tochter und schon ziemlich lange berufstätig. Er ist 20, wohnt noch zuhause und hat erst vor zwei Monaten mit dem Arbeiten angefangen. Trotzdem machen beide gerade zusammen die Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer beim Pharmadienstleister Vetter in Ravensburg. Kathrin Scharmach als Umschülerin und Eugen Zimmermann als Schulabgänger.

„Wir haben gerade sehr viele unterschiedliche Auszubildende. Der jüngste ist 15, der älteste 44 – und Kathrin ist die einzige Frau“, sagt Dennis Lieb, Manager Technische Ausbildung bei Vetter. Das Familienunternehmen aus Baden-Württemberg ist Spezialist in der Herstellung von injizierbaren Medikamenten – und hat weltweit mehr als 5.700 Beschäftigte. Sie alle stehen vor den gleichen Herausforderungen: Wie reagieren wir auf die ständigen Veränderungen? Wie passen wir unsere Betriebsabläufe an? „Wir setzen uns schon in der Ausbildung damit auseinander und setzen auf agiles Lernen“, erklärt Lieb. „Das ist ein Konzept mit Zukunft“.

Davon ist nicht nur der Ausbilder überzeugt, sondern auch Sandra Megahed vom Projekt „NETZWERK Q 4.0 – Netzwerk zur Qualifizierung des Berufsbildungspersonals im digitalen Wandel“. Megahed ist regionale Projektleiterin für Baden-Württemberg und ein großer Fan des agilen Lernens. „Hier steht der Lernende mit seinem konkreten Bedarf im Zentrum“, sagt sie. „Die Kompetenzentwicklung erfolgt nicht auf Basis von allgemeinen Beispielen, sondern anhand persönlicher Herausforderungen und dem Vorwissen und den Stärken der Auszubildenden.“

Azubis entscheiden selbst

Konkret sieht das bei Vetter dann so aus: Kathrin Scharmach, Eugen Zimmermann und die anderen sechs Auszubildenden des ersten Lehrjahrs entscheiden jeden Morgen selbst, was sie an diesem Tag tun – drehen, fräsen, bohren oder feilen. „Für mich ist das perfekt“, meint Eugen Zimmermann. „Ich habe immer die freie Wahl, womit ich anfange, und muss mich an keinen festen Plan halten.“ Der 20-Jährige weiß sehr genau, dass das ein Privileg ist. „Bei einer klassischen Ausbildung müsste ich wochenlang an einem U-Stahl feilen und wüsste am Ende nicht, was ich damit machen soll.“

Ausbilder Dennis Lieb setzt auf die Kreativität seiner Auszubildenden. „Wir stellen uns immer auf das Lehrjahr ein und fragen, welche Ideen die Auszubildenden haben, welches Projekt sie zusammen gestalten wollen“, sagt er. „Das motiviert ungemein und führt zu tollen Ergebnissen.“ Zum Beweis zeigt er einen kleinen Baustein aus Metall mit der Aufschrift „Social Hero“. „Den bekommen Menschen im Unternehmen, die sich sozial engagieren“, erklärt Lieb – und ist sichtlich stolz auf seine Auszubildenden, die sich das ausgedacht haben.

Unterschiede als Stärke

„Wir übergeben sehr viel Verantwortung an unsere Auszubildenden und lassen sie selbst gestalten“, sagt der Ausbilder. „Das fördert das Engagement und nimmt auch die Generation Z mit.“ Über die werde seiner Meinung nach viel zu oft viel zu negativ berichtet. „Es geht immer nur um ihre Schwächen, aber nie um ihre Stärken – dabei ist diese Generation sehr selbstverwirklichend. Wenn wir sie da abholen und ihre Ideen wertschätzen, kommen richtig tolle Sachen dabei heraus.“

So wie das Salz- und Pfefferstreuer-Set, an dem Kathrin Scharmach und Eugen Zimmermann im Moment jeden Tag gemeinsam arbeiten. Die beiden Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und doch gemeinsam für die richtige Würze sorgen.

VIER TIPPS für agiles Lernen in der Ausbildung

  1. Führen auf Augenhöhe. Gemeinsam Ideen entwickeln statt Vorgaben machen, Feedback geben statt kontrollieren, duzen statt siezen.
  2. Spontan sein. Jeden Morgen fragen: „Was wollt ihr heute machen? Was braucht ihr dafür? Was wollt ihr wissen?“
  3. Niemals die Idee der Azubis verwerfen. Den „Drive“ der Azubis nutzen und Raum zur Selbstverwirklichung lassen. Das funktioniert viel besser, als stupide nach Plan auszubilden.
  4. Fehler zulassen. Sie passieren sowieso – und aus ihnen lernt man am meisten.

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