„Digital Native bedeutet nicht gleich digital kompetent“

„Digital Native bedeutet nicht gleich digital kompetent“
Als Hochschulprofessorin für Wirtschaftswissenschaften forscht Yasmin Weiß dazu, wie sich unser Arbeitsleben in Zukunft ändern wird – besonders im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung. Dabei untersucht sie, welche Kompetenzen und Ausbildungen in den kommenden Jahren besonders gefragt sein werden. Neben ihrer Professur an der Technischen Hochschule Nürnberg hat Yasmin Weiß mehrere Sitze in Aufsichtsräten inne und ist als Politikberaterin tätig. Das Wirtschaftsmagazin Strive zählt sie zu den zehn wichtigsten weiblichen Business-Influencern in Deutschland. Im Herbst 2022 hat Weiß ihr neues Buch veröffentlicht: „Weltbeste Bildung“ ist ein Plädoyer für die digitale Alphabetisierung im Bildungssystem und für das lebenslange Lernen. © Charlotte Starup
Durch Roboter und Künstliche Intelligenz wandeln sich Ausbildungsberufe, neue Berufsbilder entstehen. Wie können Unternehmen ihre Azubis auf diese Veränderungen vorbereiten, welche Kompetenzen und Einstellungen sind heute gefragt? POSITION hat darüber mit der Wirtschaftsprofessorin Yasmin Weiß gesprochen.
Agnes Mayer
Agnes Mayer
Freie Journalistin

Frau Weiß, Ihre Forschungsschwerpunkte sind „Future Skills“ und „Future Work“. Auf welche Kompetenzen sollten Arbeitgeber bei der Auswahl ihrer Azubis besonders achten?

Ich glaube an die Entwicklungsfähigkeit von Menschen – gerade bei Azubis, die noch zu Beginn ihrer Karriere stehen. Dennoch ist es wichtig, auf bestimmte Wertvorstellungen bei der Vorauswahl zu achten. Diese sind häufig statischer. Kompetenzen lassen sich nach der Einstellung noch entwickeln, weniger dagegen das Wertesystem und die innere Einstellung. Ein großer Trend der nächsten Jahre: Hybridqualifizierung ist das neue Sexy am Arbeitsmarkt. Gemeint ist Technologieverständnis gepaart mit einer tiefgehenden Sozialkompetenz. Also zum Beispiel jemand, der neue Software entwickelt, aber gleichzeitig empathisch und teamfähig ist – nicht nur gegenüber anderen Kollegen, sondern auch Künstlicher Intelligenz oder automatisierten Prozessen.

Kann man dafür die Kompetenzen nutzen, die die Azubis als Digital Natives mitbringen?

Digital Native bedeutet nicht gleich digital kompetent. Natürlich sind die jungen Menschen mit dem Smartphone in der Hosentasche aufgewachsen. Aber nur weil sie diese digitalen Geräte ständig nutzen, bringen sie nicht automatisch das Verständnis mit, wie sich mit der Digitalisierung Arbeitsprozesse effizienter und effektiver machen lassen. Für mich bedeutet Digitalkompetenz die Fähigkeit, verantwortungsvoll und bewusst die digitale Zukunft mitgestalten zu können. Zu einer beruflichen Basisqualifizierung gehört das dazu und sollte in Ausbildungsberufen besonders gefördert werden.

Manche traditionelle Jobs werden in den kommenden Jahren aussterben, weil Roboter & KI sie übernehmen. Wie bleibt die Lehre dennoch attraktiv?

Wir befinden uns in der größten Transformation des Arbeitsmarktes, die es vermutlich je gegeben hat. Es wird normal sein, dass persönliche Werdegänge von Brüchen, Neuanfängen und Disruptionen gekennzeichnet sind. Die Mehrheit der jungen Leute wird es nicht mehr erleben, kontinuierlich von der Ausbildung bis zur Rente für einen Arbeitgeber tätig zu sein. Meine Antwort darauf: Ist doch cool! Du hast alle paar Jahren die Möglichkeit, dich komplett neu zu erfinden und einer Routine zu entfliehen. Wir müssen einfach ein anderes Narrativ erzählen.

Wie können Ausbilder ihren Azubis die Angst vor der Zukunft nehmen?

Ich erwähne gerne die Metapher vom Vogel, der auf einem Ast sitzt. Ein Vogel hat keine Angst, dass der Ast brechen könnte. Er weiß, dass er fliegen kann. Genau diese Einstellung müssen wir jungen Menschen vermitteln: Selbst, wenn die berufliche Grundlage wegbricht, sie können in ihre Fähigkeiten vertrauen. Dafür sollte man schon jetzt in der Ausbildung bestimmte Metakompetenzen stärken. Dazu zählt zum einen Lern- und Anpassungsfähigkeit, zum anderen Resilienz und Neugier. Damit sind sie ausgestattet, mit einer Zukunft umzugehen, die ganz anders ist als die Gegenwart.

Welche Rolle müssen dabei Ausbildungsunternehmen einnehmen?

Arbeitgeber sollten sehr frühzeitig Veränderungsbedarf kommunizieren. Diese Informationen müssen dann wiederum so schnell wie möglich an die Akteure im Bildungssystem weitergegeben werden. Denn es dauert, bis Ausbildungspläne angepasst oder neue Ausbildungsberufe durch alle Instanzen hindurch anerkannt sind. Dazu müssen Unternehmen viel Proaktivität und einen strategischen Blick in die Zukunft beweisen.

    Kompetent in die Zukunft: So stärken wir uns und unsere Azubis

    • Lernen statt lähmen: Verpassen Sie nicht den Anschluss, sich zukunftsfit zu machen. Nehmen Sie sich stattdessen bewusst Zeit, sich weiterzubilden. Ausbilder können so ein Vorbild für lebenslanges Lernen sein.
    • Übersetzen statt überfordern: Die neuen Technologien sind so komplex, dass sie häufiger Skepsis als Verständnis hervorrufen. Daher braucht es „Tech-Translators“, also Menschen, die das notwendige Wissen dazu vermitteln.
    • Kompetent statt Konsument: Wir nutzen Smartphones täglich, aber verstehen wir auch wirklich, was im Hintergrund dieser Geräte passiert? Tutorials und Lern-Apps helfen, Grundkenntnisse im Programmieren zu erlangen.
    • Empathisches Agieren statt alleinlassen: So technisch die Zukunft wird, so empathisch muss der Umgang am Arbeitsplatz sein. Eine offene Kommunikation ist besonders wichtig, um Zukunftsängste zu nehmen.
    • Sicherheit statt Sorgen: Azubis benötigen eine sichere Basis an Kompetenzen, um gute Startbedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu haben und sorgenfrei Richtung Zukunft blicken zu können.

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