Das Restaurant Küppersmühle in Duisburg bietet gehobene Küche und herzliche Gastlichkeit. Doch trotz des guten Rufes des Betriebs ist die Suche nach passenden Azubis schwierig. Geschäftsführer Kai Wergener erklärt : „Das ist teilweise wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.“ Er achtet bei Bewerbungen besonders darauf, ob die Arbeitseinstellung zum Unternehmen passe : „Bei uns ist Begeisterung für unser Geschäft elementar. Wir können nur positive Erlebnisse für unsere Gäste gestalten, wenn wir selbst auch positiv und offen sind. Persönlicher Einsatz und Herzblut gehören auf jeden Fall dazu.“ Um die Auswahl zu vergrößern, geht der Geschäftsführer auch neue Wege : „Wir haben mittlerweile sehr gute Erfahrungen mit Leuten gemacht, die aus einem anderen Bereich kommen und schon etwas Lebenserfahrung mitbringen.“
Dies zeigt, dass die Suche nach Azubis aufwändiger geworden ist. Auf dem Ausbildungsmarkt ist einiges ins Rutschen geraten. Einerseits gibt es Mangelberufe, wie zum Beispiel in Gastronomie, Handel oder im Baugewerbe, andererseits junge Menschen, die gar keinen Ausbildungsplatz finden. „Mismatching“ heißt das auf Neudeutsch. Erfahrung und Fingerspitzengefühl bei der Auswahl – wie im Restaurant Küppersmühle – ist ein Gegenmittel. Ein anderes ist ein strukturierter Recruiting-Prozess, bei dem smarte Tools helfen können. Gerade Betriebe, die nur wenig Bewerbungen erhalten, stehen dem häufig skeptisch gegenüber. Denn wie soll man dann noch auswählen?
Ein guter Auswahlprozess stärkt die Arbeitgebermarke.
Joachim Diercks, Geschäftsführer CYQUEST GmbH
Joachim Diercks ist Geschäftsführer der CYQUEST GmbH in Hamburg und bietet verschiedene Tools rund um den Bewerbungsprozess an. Er meint : „Gerade bei Fachkräftemangel wird oft vermutet, man könne Bewerberinnen und Bewerbern keinen anspruchsvollen Auswahlprozess zumuten, weil man eh nicht mehr wählerisch sein kann.“ Das findet er falsch, denn ein anspruchsvoller Bewerbungsprozess werde positiver bewertet als das Gefühl, dass „jeder den Job bekommen kann“. Ein guter Auswahlprozess stärke zudem die Arbeitgebermarke. Außerdem meint er, dass gerade bei Talentknappheit die Qualität Priorität haben müsse. Wer nur nach dem Prinzip „Hauptsache besetzt“ einstelle, riskiere teure Fehlbesetzungen und Abbrüche.
Mit Struktur erfolgreich
Dies bestätigt auch Prof. Uwe Kanning von der Hochschule Osnabrück, der sich wissenschaftlich mit Bewerbungsverfahren befasst. Er betont, dass strukturierte Auswahlverfahren erfolgreicher sind als das herkömmliche Vorgehen. Qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber fühlten sich durch anspruchsvolle Verfahren angezogen, weil sie dort zeigen könnten, wie gut sie sind. „Strukturierte Auswahlverfahren dienen indirekt also auch dem Personalmarketing“, sagt er. Dies gäbe auch den Unternehmen mehr Sicherheit : „Eine gute Prognose der beruflichen Leistung ist gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sehr wichtig, denn in Zukunft wird man mit immer weniger Menschen die gleiche Leistung erbringen müssen. Dies gelingt nur, wenn das Leistungspotenzial der neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höher ausfällt als das der Belegschaft.“
Strukturierte Auswahlverfahren dienen indirekt auch dem Personalmarketing.
Prof. Uwe Kanning, Hochschule Osnabrück
Warum Schulnoten nicht viel aussagen
Bei der Einstellung von neuem Personal verlassen sich einige Unternehmen auf die Schulnoten. Die Schulzeugnisse gehören immer noch zu einer vollständigen Bewerbungsmappe. Warum dies trügerisch sein kann, erklärt Wirtschaftspsychologe Florian Dyballa, einer der Gründer der Aivy GmbH in Berlin, die sich auf Tools für Einstellungsprozesse spezialisiert hat : „Noten sind schlecht vergleichbar zwischen Bundesländern oder Schulen. Sie messen zudem nicht nur Talent, sondern auch Fleiß und Anpassungsbereitschaft. Wer intelligent ist, sich aber nur für bestimmte Fächer motiviert, bekommt schnell eine schlechte Note, die wenig über die Eignung aussagt.“ Seiner Erfahrung nach sind valide eignungsdiagnostische Verfahren besser geeignet für die Prognose des Berufserfolgs der jeweiligen Bewerberinnen und Bewerber.
Ein strukturierter Prozess vergleicht objektive Anforderungen mit den individuellen Stärken der Bewerbenden.
Florian Dyballa, Gründer Aivy GmbH
Auch auf das Bauchgefühl der Recruiter sei nicht immer Verlass. Florian Dyballa weist auf einen typischen Denkfehler hin : „Wir überschätzen unsere Menschenkenntnis und lassen uns von irrelevanten Faktoren leiten. Ein strukturierter Prozess gleicht diese Verzerrungen aus und vergleicht objektive Anforderungen mit den individuellen Stärken der Bewerbenden.“ Das unterstützt auch Prof. Kanning : „Strukturierte Auswahlverfahren sind spezifischer auf die Anforderung der jeweiligen Stelle zugeschnitten und erheben sehr viel differenzierter die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber. Dies hat zur Folge, dass sich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohler in ihrer Stelle fühlen und länger im Unternehmen verbleiben.“
Ein Blick in die Praxis
Große Unternehmen haben ihre Auswahlprozesse in vielen Fällen bereits systematisch strukturiert. Bei der Deutschen Telekom werden die Kandidatinnen und Kandidaten nach der digitalen Bewerbung zu einem Onlinetest eingeladen. „Mit modernen diagnostischen Verfahren wollen wir mehr über die individuellen Potenziale, Werte und Stärken der jungen Menschen erfahren“, sagt Christiane Pillmann, Leiterin des Nachwuchskräfte-Staffings. Auch sie meint, dass Noten keine entscheidende Rolle mehr spielen. Allerdings legt sie Wert darauf, dass nicht IT-Tools die persönliche Auswahlentscheidung ersetzen, sondern dass die Einschätzung der Recruiting-Mitarbeitenden zentral bleibt. Deshalb folgen auf die Onlinetools immer persönliche Interviews. Dabei lege sie dann auf bestimmte Eigenschaften besonderen Wert : „Das sind Teamfähigkeit, soziale Kompetenz, Affinität für IT, Innovation und Zukunftsthemen. Wir suchen in erster Linie Talente – junge Menschen, die Motivation mitbringen, Neues zu lernen, ihre Stärken auszubauen und ihre Interessen einzusetzen sowie sich in einem dynamischen Umfeld zu engagieren.“
Bei der Deutschen Bahn ist KI mittlerweile ein natürlicher Bestandteil der Personalgewinnung, erklärt eine Sprecherin. „Unsere KI-Strategie hat zum Ziel, sowohl das Bewerbenden-Erlebnis als auch die Arbeit unserer Mitarbeitenden entlang des gesamten Recruiting-Prozesses aktiv zu unterstützen. Ein praktisches Beispiel ist unser Chatbot DB Smile, der eine Bewerbung per Chat oder Sprache in unter vier Minuten möglich macht.“ Dabei steht auch bei der Deutschen Bahn die menschliche Interaktion zwischen Bewerbenden und Recruiterinnen und Recruitern im Zentrum. Deshalb verzichtet die DB auf vorgelagerte Tests. „Am Ende sind es die Einstellungen und Werte, die den Menschen ausmachen. Wir suchen nicht den perfekten Lebenslauf, sondern die passenden Menschen für den richtigen Job. Wissen und Fähigkeiten lassen sich vermitteln und erlernen.“
Abschreckung durch KI-Verfahren ?
Aber wie empfinden junge Menschen die häufig aufwändigen Tests ? Laut Dyballa empfinden sie einen Test nur dann als abschreckend, wenn er trocken, langweilig und ohne erkennbaren Mehrwert ist. Susanne Peters von der Einstieg GmbH in Köln hat auf Berufsorientierungsmessen und bei der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern häufig mit der Zielgruppe „potenzielle Auszubildende“ zu tun und sieht den Einsatz von KI und IT-Tools im Bewerbungsprozess ebenfalls positiv : „Ich wünsche mir, dass Unternehmen offen zeigen, wie sie KI bereits im Arbeitsalltag einsetzen. Für Jugendliche ist das ein starkes Signal : Hier wird mit moderner Technik gearbeitet, hier kann ich Zukunft mitgestalten. Die Offenheit im Umgang mit KI kann also nicht nur Vertrauen schaffen, sondern auch ein echter Pluspunkt im Wettbewerb um junge Talente sein.“
Die Kriterien bei der Einstellung von Azubis unterscheiden sich in großen Unternehmen nicht sehr von den Anforderungen eines kleinen Betriebs. Der Weg zum richtigen Match kann für beide Seiten durch den Einsatz von smarter Technik leichter werden, der Erfolg im Job wird sich jedoch durch Motivation auf beiden Seiten ergeben – und vor allem auch den Willen zum gegenseitigen Respekt und der Offenheit, Neues zu lernen.