Eigentlich sollte man meinen, dass der Bus schon kommen wird, wenn er im Fahrplan steht. Doch mehr als einmal hat Jonas Rössel in den vergangenen Jahren erleben müssen, dass sich diese Annahme sogar in Deutschland als Trugschluss erweisen kann. Zwischen seinem Ausbildungsunternehmen im thüringischen Neuhaus am Rennweg und seinem Heimatdorf liegen 13 Kilometer. Abfahrt wäre um 5.05 Uhr. Doch manchmal hätten „die wohl gedacht, es fährt sowieso keiner mit“, sagt Rössel.
Der Personalleiterin des Ausbildungsunternehmens von Rössel, das auf Beschichtungslösungen spezialisiert ist – die GB-Neuhaus –, kennt derlei Geschichten gut.
Zwar, sagt Sandra Arnold, habe noch kein potenzieller Lehrling einen ihm angebotenen Ausbildungsvertrag nicht unterschrieben, weil er in der dicht bewaldeten und dünn besiedelten Region nicht von A nach B gekommen wäre. Doch liege das auch daran, dass das Unternehmen maximal flexibel sei, wenn es etwa darum geht, wann für einen Lehrling der Arbeitstage beginnt. Oder das Unternehmen Lösungen habe Lösungen gefunden, um lange Wege zu ersparen. „Es hilft ja nichts“, sagt Arnold. Immerhin seien weder das Unternehmen noch die Lehrlinge dafür verantwortlich, dass die Busverbindungen in der Region so schlecht sind wie hier, aber auch in vielen anderen ländlichen Regionen Deutschlands.
Zusatzkosten durch Azubi-WG: „Wir sehen das als Investitionen in unsere Zukunft.“
Sandra Arnold, Personalleiterin GB-Neuhaus
Eine der Lösungen, die die GB-Neuhaus gefunden hat, um das Mobilitätsproblem zu lösen, ist eine Azubi-WG – für junge Menschen, die von so weit herkommen, dass das tägliche Pendeln für sie nicht zumutbar ist. Die ersten beiden Lehrlinge, die dort wohnten, erzählt Arnold, waren ein junger Mann aus Saalfeld – etwa 30 Kilometer entfernt – und einer aus Gera – etwa 100 Kilometer entfernt. Natürlich, sagt Arnold, entstünden dadurch für das Unternehmen zusätzliche Kosten. Doch ließen die sich schultern. „Wir sehen das als Investitionen in unsere Zukunft. Wir bilden für den eigenen Bedarf aus.“
Während der bisherigen Ausbildung von Rössel wäre es allzu oft nicht ohne dessen Eltern gegangen. Wenn, sagt der 19-jährige angehende Mechatroniker, er vergeblich auf den Bus gewartet habe, „haben mich Vati oder Mutti gefahren“. Immer wieder aufs Neue.
Überhaupt ist es nach Einschätzung von Arnold dieses Miteinander, dieses Ineinandergreifen von Unternehmen, Eltern, aber etwa auch Schulen und Vereinen, dass für die Wirtschaft im ländlichen Raum bei der Suche nach Nachwuchs ganz entscheidend ist. Stichwort : „Netzwerke“.
Trotz all des Azubimarketings, das die GB-Neuhaus zum Beispiel im Internet und auf Kontaktmessen betreibe, „ist die Mund-zu-Mund- Propaganda für uns unverzichtbar“, sagt Arnold. Es sei alles andere als selten, dass der Erstkontakt junger Menschen zu den Unternehmen in der Region deshalb zustande komme, weil – überspitzt formuliert – der Bekannte einer Freundin eines Verwandten des eigenen Vaters das Unternehmen kennt und weiterempfiehlt.
Auch bei Rössel war das so : Über die Mutter einer Klassenkameradin wurde er auf die GB-Neuhaus aufmerksam. Bald darauf versuchte er jeden Morgen, mit dem Bus dorthin zu fahren.
So netzwerken Sie richtig im ländlichen Raum
- Netzwerken ist gerade für Unternehmen im ländlichen Raum so wichtig, dass man das als Arbeit im engeren Sinne verstehen sollte. Das funktioniert nicht nur nebenbei.
- Nehmen Sie Kontakt zu all den Einrichtungen und Institutionen auf, in denen junge Menschen in Ihrer Region Zeit verbringen: Schulen, Jugendclubs, Vereine.
- Zeigen Sie sich und Ihr Unternehmen während des Fußballspiels des Dorfvereins ebenso wie während der Kirmes oder beim Tag der offenen Tür in der Schule.
- Kleine Spenden an Vereine oder Anzeigen in Schülerzeitungen helfen, dass Ihr Unternehmen bei jungen Menschen, aber auch bei deren Eltern bekannt wird.
- Offline vor Online: Persönliche Begegnungen von Ausbildern oder Personalverantwortlichen mit Menschen aus der Region sind oft mehr wert als Online-Kampagnen.