Eigentlich wollte Immanuel Gauß Industriemechaniker werden. Doch glücklich war er in seinem Ausbildungsberuf nicht. „Ich war unterfordert und kurz davor abzubrechen“, erinnert sich der 29-jährige Karlsruher. Doch er brachte die Ausbildung zu Ende, um einen neuen Weg einzuschlagen. Sein Ausbildungsbetrieb, die Herrmann Ultraschalltechnik GmbH in Karlsbad, ermöglichte ihm ein duales Maschinenbaustudium neben dem Beruf. „Ich wollte Maschinen nicht nur zusammenbauen, sondern auch entwickeln“, erklärt Gauß. Hochschule und Betrieb im Wechsel, dazu ein monatliches Gehalt, drei Jahre lang. „Diese Zeit war sehr anstrengend.“
Doch mit dem Bachelorabschluss eröffneten sich neue Karrierechancen. Gauß wurde zunächst Mitarbeiter der Entwicklungsabteilung von Herrmann Ultraschall, dann Teamleiter im Bereich Konstruktion Mechanik. Er ist gewählter Mitarbeitervertreter und Botschafter der Unternehmenskultur. „Ich habe mich fachlich und persönlich weiterentwickelt und eine erfüllende Aufgabe gefunden. Es war richtig, diesen Weg zu gehen“, sagt er zufrieden. So sieht es auch Personalleiterin Sina Bader. „Als Technologieunternehmen brauchen wir Mitarbeiter, die fachlich auf dem neuesten Stand sind, die unsere Kunden begeistern und zu unserem Werteverständnis passen.“ Weil die auf dem Bewerbermarkt schwer zu finden seien und die Mitarbeiterbindung einen hohen Stellenwert habe, investiere Herrmann Ultraschall systematisch in die Einarbeitung und Weiterbildung der knapp 600 Beschäftigten, auch über die firmeneigene Akademie. „Gut ausgebildete Mitarbeiter helfen uns, ein zukunftssicheres Unternehmen und ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben“, so Bader.
„Die beste Vorsorge gegen den Fachkräftemangel“
Fachkräftemangel, digitale Transformation, globaler Wettbewerb: „Die sich stetig verändernde Arbeitswelt und die neuen Anforderungen an Unternehmen und Beschäftigte erfordern lebenslanges Lernen“, weiß Wencke Kirchner, Geschäftsbereichsleiterin Aus- und Weiterbildung der IHK Karlsruhe. „Wenn ich mich als Einzelperson auf meinen erworbenen Fähigkeiten ausruhe, werde ich genauso den Anschluss verlieren wie ein Unternehmen, das nicht in Weiterbildung investiert.“ Berufliche Qualifizierung sichere Know-how, Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit, so Kirchner. Zudem steigerten attraktive Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten die Bindung der Mitarbeitenden und wirkten sich positiv auf die Arbeitgebermarke aus. „In Aus- und Weiterbildung zu investieren, ist die beste Vorsorge gegen Fachkräftemangel.“
Möglichkeiten gibt es zuhauf. Sie reichen vom eintägigen Computerkurs bis hin zur höherqualifizierenden Berufsbildung oder Weiterbildung an der Hochschule. „Gerade ein Fern- oder Online-Studium, das überwiegend oder ganz auf Präsenz verzichtet, bietet viel Flexibilität, weil Lernort, -zeit und -tempo weitgehend selbst bestimmt werden können“, betont Ellen Wenzel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, an der sich zurzeit 790 Studierende in 14 Studiengängen weiterbilden. Berufstätige qualifizieren sich über Weiterbildungsstudiengänge, Zertifikatskurse und Einzelmodule für konkrete Anforderungen im Job oder erlangen einen akademischen Abschluss. „Diese Form der Weiterbildung ist wissenschaftlich fundiert, praxisorientiert und hat einen nachhaltigen Lerneffekt“, versichert Wenzel. Weiterer Vorteil: „Die Studierenden bilden sich in ihrer Freizeit weiter, bleiben also im Beruf und tragen neue Impulse aus Wissenschaft und Forschung direkt ins Unternehmen.“
Ob Studium, E-Learning, externes Seminar oder Schulung im Betrieb: Die Nachfrage steigt. Laut Adult Education Survey 2020 absolvierten im vergangenen Jahr 60 Prozent der 18- bis 64-Jährigen mindestens eine Weiterbildung, deutlich mehr als noch 2016 (50 Prozent). Allein die IHKs nahmen in der Höheren Berufsbildung etwa 60.000 Prüfungen ab, dafür waren über 33.000 ehrenamtliche Prüfer im Einsatz. Für viele Maßnahmen gibt es Unterstützung oder finanzielle Förderung – für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer (siehe Infokasten). Aber: „Jede Weiterbildung sollte am konkreten betrieblichen Bedarf ausgerichtet werden“, betont IHK-Expertin Kirchner. Es gelte zu analysieren, welche Kompetenzen kurz-, mittel- und langfristig benötigt würden. Mögliche Lücken könnten dann durch gezielte Qualifizierung geschlossen werden.
Neue Abschlüsse: Bachelor und Master Professional
Mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2020 wurden neue Bezeichnungen für die höherqualifizierende Berufsbildung eingeführt. So können Fortbildungsabschlüsse künftig die Bezeichnungen „Bachelor Professional“ und „Master Professional“ tragen. Sie sollen die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung sowie die Praxisnähe der Industriemeister, Bilanzbuchhalter, Fach- und Betriebswirte zum Ausdruck bringen. Weil die Bezeichnungen international verständlich sind, sollen die neuen Berufstitel zudem die Mobilität von beruflichen Aufsteigern fördern. Beispiele für solche neu bezeichneten Abschlüsse sind etwa der „Geprüfte Betriebswirt – Master Professional in Business Management“ – oder der „Geprüfte Bilanzbuchhalter – Bachelor Professional in Bilanzbuchhaltung“.
Fördermöglichkeiten
Für Unternehmen
WEITER.BILDUNG! Die Qualifizierungsoffensive der Agentur für Arbeit unterstützt Betriebe, die ihre Beschäftigten fortbilden möchten. Die Förderung umfasst eine individuelle Qualifizierungsberatung, die teilweise oder vollständige Erstattung der Lehrgangskosten sowie Zuschüsse zum Arbeitsentgelt. Voraussetzung ist, dass die jeweilige Weiterbildung mehr als 120 Stunden umfasst, die Maßnahme und der Träger für eine Förderung zugelassen sind.
Weiterbildung während Kurzarbeit: Nutzt ein Unternehmen die Kurzarbeit, um seine Mitarbeiter zu qualifizieren, wird dem Betrieb für diese Beschäftigten die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge erstattet. Hat die Weiterbildung während der Kurzarbeit begonnen, dauert sie mehr als 120 Stunden und sind Maßnahme und Träger zugelassen, werden außerdem die Lehrgangskosten bezuschusst. Beide Hilfen enden am 31. Juli 2023.
Für Mitarbeiter / Einzelpersonen
Aufstiegs-BAföG: Wer sich auf eine Fortbildungsprüfung in Voll- oder Teilzeit vorbereitet, die zu einer Höheren Berufsbildung wie etwa dem Meister, Techniker oder Fachwirt führt, der kann Zuschüsse zu den Prüfungs- und Lehrgangsgebühren sowie zinsgünstige Darlehen erhalten. Für Teilnehmer von Vollzeitmaßnahmen gibt es zudem Unterstützung zum Lebensunterhalt.
Weiterbildungsstipendium: Das Weiterbildungsstipendium unterstützt junge Menschen unter 25 Jahre nach dem besonders erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung bei der weiteren Qualifizierung. Verteilt auf drei Jahre gibt es Zuschüsse zu fachlichen und fachübergreifenden Weiterbildungen, höherqualifizierenden Berufsbildungen oder zu einem berufsbegleitenden Studium.
Aufstiegsstipendium: Das Programm unterstützt Fachkräfte mit Berufsausbildung und Praxiserfahrung bei einem ersten akademischen Hochschulstudium. Die finanzielle Förderung ist alters- und einkommensunabhängig, richtet sich aber an Fachkräfte, die sich während ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn durch besondere Leistungen ausgezeichnet haben. Das Studium kann in Vollzeit oder berufsbegleitend erfolgen.
Bildungsurlaub: In 14 von 16 Bundesländern können sich Arbeitnehmer für fünf Arbeitstage im Jahr freistellen lassen, wenn sie eine Weiterbildung absolvieren möchten. Dieser Bildungsurlaub (auch Bildungsfreistellung oder Bildungszeit genannt) wird zusätzlich zum regulären Urlaubsanspruch gewährt. Lohn beziehungsweise Gehalt werden weitergezahlt. Die geplante Qualifizierung muss nicht in direktem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen, aber als Bildungsurlaub anerkannt sein.
Steuerliche Vorteile: Arbeitnehmer können Ausgaben für Weiterbildungen als Werbungskosten absetzen, sofern diese der beruflichen Qualifikation dienen. Abzugsfähig sind dabei alle Kosten, die im Rahmen einer besuchten Bildungsmaßnahme anfallen. Eine detaillierte Auflistung lohnt sich nur, wenn die Kosten die Summe von 1.000 Euro übersteigen, Aufwendungen unter dieser Grenze werden pauschal abgegolten.