Neuer Job, aber keine Bleibe

Said Farid Sadat fehlte es nicht an Talent bei der Ausbildung, sondern an einem geeigneten Umfeld. Dank seiner Chefin ließ sich das Problem lösen.
Said Farid Sadat fehlte es nicht an Talent bei der Ausbildung, sondern an einem geeigneten Umfeld. Dank seiner Chefin ließ sich das Problem lösen. © NUiF/Victor Strasse
Viele Unternehmen möchten Geflüchtete in Arbeit oder Ausbildung nehmen, um ihren Arbeitskräftebedarf zu decken. Größte Hürde dabei : der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Wie Betriebe dieses Problem überwinden, zeigt ein Beispiel aus Salzwedel.
Sylvia Rollmann
Sylvia Rollmann
Freie Journalistin © Karin Maigut

Sinkendes Angebot, astro­nomische Preise, Vermieter mit Vorbehalten: Für Geflüchtete ist es schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden, selbst dann, wenn sie bereits eine Beschäftigungszusage haben. Gerade in Ballungsgebieten, wo es Jobs und gute Infrastruktur gibt, ist die Suche fast chancenlos. Auch auf dem Land sieht es kaum besser aus. Dort ist Wohnraum zwar günstiger, oft aber weit vom Betrieb entfernt und schlecht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Was die Betroffenen frustriert, entwickelt sich für die Wirtschaft zum ernsten Problem.

„Arbeitsverträge oder Probe­zeiten scheitern immer häufiger daran, dass aussichtsreiche Bewerberinnen und Bewerber einfach keine dauerhafte Bleibe finden“, sagt Sofie Geisel, Geschäftsführerin der DIHK Service GmbH und Mitglied der DIHK-Hauptgeschäftsführung. Dabei sei die Beschäftigung von Geflüchteten und die Rekrutierung im Ausland für viele Unternehmen ein wichtiger Hebel, um offene Stellen besetzen zu können. „Alle Prognosen machen deutlich, dass ohne Zuwanderung relevante Teile des Arbeitsmarktes einfach zusammenbrechen“, so Geisel.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist zur größten Hürde bei der Beschäftigung von Menschen aus dem Ausland geworden. Bei der jüngsten Mitgliederbefragung des Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge (NUiF) bezeichneten mehr als 40 Prozent der Betriebe, die bereits Geflüchtete ausbilden oder beschäftigen oder dies vorhaben, die Suche nach einer geeigneten Unterkunft als besonders schwierige oder gar unüberwindbare Herausforderung, schwieriger noch als die komplizierten Verfahren und Vorschriften oder die Anerkennung von Berufsabschlüssen.

Noch deutlicher fiel diese Einschätzung bei Unternehmen aus, die Azubis aus Drittstaaten ausbilden. Hier bezeichnet sogar mehr als die Hälfte der Betriebe (52 Prozent) den Wohnraummangel als größte Hürde. „Hier kommt erschwerend hinzu, dass einreisewillige Azubis schon aus dem Ausland heraus eine Wohnung finden müssen, weil manche Botschaften einen Mietvertrag als Voraussetzung für ein Visum verlangen“, erklärt Geisel.

Said Farid Sadat mit seiner Chefin Christine Heuer von Christine Floristik in Salzwedel

 

Said Farid Sadat mit seiner Chefin Christine Heuer von Christine Floristik in Salzwedel © NUiF/Victor Strasse

Ohne Bleibe keine Beschäftigung? Vor dieser Frage stand auch Christine Heuer, als sich der Flüchtling Said Farid Sadat bei ihr um ein Praktikum und schließlich um eine Ausbildung zum Floristen bewarb. „Ich wollte etwas Gutes tun und diesem jungen Menschen eine Perspektive bieten“, erinnert sich die Inhaberin von Christine Floristik in Salzwedel. Das Problem: Sadat, der minderjährig und ohne Familie aus Afghanistan geflüchtet war, lebte in einer Gemeinschaftsunterkunft. „Stress und Lärm waren an der Tagesordnung“, sagt Heuer. „An regelmäßigen Schlaf oder konzentriertes Lernen war nicht zu denken.“

Die Floristmeisterin war überzeugt, unter diesen Umständen würde der Jugendliche seine Ausbildung nicht schaffen. Sie entschied, eine Wohnung über ihrem Laden umzubauen, richtete sie ein und stellte sie dem Azubi günstig zur Verfügung. Eine Freundin half bei Behördengängen, bei Förderanträgen und alltäglichen Problemen. „Fremdes Land, neue Sprache, Arbeit und Berufsschule. Said musste von Null anfangen“, sagt Heuer. Eine eigene Wohnung habe ihm Sicherheit gegeben – und das Gefühl, angekommen zu sein.

Einige Betriebe schließen sich zusammen

Sofie Geisel kennt diese positiven Beispiele und trägt sie im Zuge des Projekts „Zukunft Beschäftigtenwohnen“ zusammen. „Einige Firmen mieten Wohnungen an und vermieten sie günstig an ihre Mitarbeitenden weiter, andere bauen neu. Kleinere Betriebe schließen sich zusammen, um ihren Beschäftigten bei der Wohnungssuche zu helfen. Es ist beeindruckend, wie engagiert und kreativ die Unternehmen sind.“ Der Wohnraummangel dürfe nicht zum Hemmnis für die Wirtschaft werden, mahnt Geisel. „Es braucht mehr pragmatische Lösungen im Bereich Beschäftigtenwohnen, mehr bezahl­baren Wohnraum und mehr Dynamik beim Neubau.“

Said Farid Sadat hat allen Grund, optimistisch zu sein. Er hat seine Ausbildung mit Auszeichnung abgeschlossen – als Jahrgangsbester seines Fachs in Sachsen-Anhalt –, und verstärkt nun als Fachkraft das Team von Christine Floristik. „Ich bin sehr dankbar für diese Chance und glücklich, so weit gekommen zu sein“, sagt der 27-Jährige. Auch Chefin Christine Heuer ist stolz auf den Erfolg ihres Schützlings. „Said ist sehr talentiert, er bringt viele neue Ideen ein. Für uns und unsere Kunden ist er eine Bereicherung.“

Weitere Zahlen und Fakten: Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge, Mitgliederbefragung 2024

www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de


InFO-Materialien und Veranstaltungen

Das Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge (NUiF) ist der bundesweit größte Zusammenschluss von Unternehmen, die sich für die Ausbildung und Beschäftigung von Geflüchteten engagieren. Neben Infomaterialien, Workshops und Veranstaltungen bietet es regelmäßige Updates zu Regularien und Gesetzesänderungen sowie die Chance, sich mit Experten oder anderen Arbeitgebern auszutauschen. Eine Mitgliedschaft ist kostenfrei.

Die Willkommenslotsinnen und -lotsen, die unter anderem bei den Kammern angesiedelt sind, beraten Unternehmen bei allen Fragen rund um die Ausbildung, Beschäftigung und Qualifizierung von Geflüchteten. Sie informieren über die rechtlichen Rahmenbedingungen und helfen beim Aufbau einer Willkommenskultur im Betrieb.

Ob und wann sich Beschäftigtenwohnen für Unternehmen lohnt, welche Modelle es gibt und wie die Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten aussehen, darüber informiert das Projekt „Zukunft Beschäftigtenwohnen“. Die von der DIHK Service GmbH konzipierte Veranstaltungsreihe wird von den Kammern vor Ort umgesetzt.

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