Die Anforderungen an berufliche Qualifikationen steigen rasant. Neue Technologien, kürzere Innovationszyklen, veränderte Arbeitsbedingungen und immer wieder neue Prozesse. Unternehmen stehen vor der Herausforderung das Wissen im Betrieb kontinuierlich aufzubauen und dafür zu sorgen, dass Standards von allen Mitarbeitenden auf einem gleichen Level beherrscht werden. Neben klassischen Unterrichts- und Seminarformen bringt digitales Lernen viele Vorteile. Orts- und zeitunabhängig, mit didaktisch aufbereiteten Inhalten und digitalen Communities wird die Vermittlung von Wissen einfacher. Aber : Gerade in technischen und sozialen Berufen reicht es nicht mehr aus, theoretisches Wissen zu vermitteln. Entscheidend ist die Fähigkeit, dieses Wissen sicher in der Praxis anzuwenden.
„Präsenzseminare allein stoßen heute oft an ihre Grenzen“, sagt Adrian Thiessen, Geschäftsführer des Weiterbildungsanbieters Relias Learning GmbH. „Die Arbeitsrealität verändert sich grundlegend. Wissen verdoppelt sich innerhalb kürzester Zeit, Mitarbeitende müssen kontinuierlich lernen.“ Digitale Lernkonzepte bieten hier Lösungen. Vor allem, wenn sie nicht isoliert stehen, sondern systematisch mit der Praxis verknüpft werden.
Symbiose von Theorie und Praxis
Diesen Ansatz verfolgt die Lucas-Nülle GmbH aus Kerpen. Mit dem Bildungsansatz „Real Experience Learning“ stattet das Unternehmen beispielsweise Berufskollegs aus. „Unsere Lernwelt basiert auf der Idee, dass nachhaltiger Lernerfolg vor allem dann eintritt, wenn Theorie unmittelbar in praktischen Projekten angewendet wird“, sagt Dagmar Bona, Redakteurin im Marketing des Unternehmens. Das Herzstück der Anwendungen ist die digitale Lernwelt „RXlea“ mit passenden Trainingssystemen. Vom Experimentierwagen bis zum Photovoltaik-Montageboard lernen Auszubildende an realistischen Objekten. Ein Beispiel : Am Berufskolleg Uerdingen in Krefeld unterrichten knapp 100 Lehrkräfte rund 2.600 Schülerinnen und Schüler. Mit der Ausrichtung auf Technik und Naturwissenschaften ist hier die Umsetzung von theoretischen Erkenntnissen in die Praxis besonders wichtig. Eine didaktisch aufbereitete Modellanlage ermöglicht es den Lernenden, dass sämtliche Prozesse von der Programmierung über die Steuerung bis hin zur Fehlerbehebung realitätsnah durchgeführt werden können. „Unsere Modelle funktionieren nach dem Prinzip der vollständigen Handlung : Typische Aufgaben aus dem Berufsalltag werden durch die Software angeleitet und dann an der Hardware direkt erprobt“, sagt Dagmar Bona. So übernehmen die Lernenden die Verantwortung für ihr Handeln und reflektieren ihre Ergebnisse. „Die Fallhöhe sinkt, weil die Auszubildenden sich mehr zutrauen und im geschützten Raum durch ihre eigenen Fehler lernen“, so Bona. „Die Lernwelt RXlea eignet sich hervorragend, um komplexe Projekte wie eine vollständige Hausinstallation digital und praxisnah zu vermitteln.“ Der Fokus liege auf aktiver Handlung : „Keine starren Kurse, sondern dynamisches Projektlernen“.

Um das Lernen interaktiv zu gestalten, ist auch das Hochladen eigener Inhalte der Azubis ein wichtiger Schritt, erläutert Florian Gerstner, einer der Geschäftsführer von LearningSuite, einer Lernplattform für Coaching-Programme. Selbst erstellte Videos oder Audio- Programme zur Simulation von Kundengesprächen geben den Betreuern ein authentisches Bild vom Lernstand.
Digitale Bildung im Gesundheitsbereich
Dass digitales Lernen nicht nur für technische Berufe entscheidend ist, zeigt das Unternehmen Relias für das Gesundheits- und Sozialwesen. Hier erfordert die branchenspezifische hohe Fluktuation, gepaart mit stetig wachsendem Wissen, neue Lernstrategien. „Es geht nicht nur um reine Wissensvermittlung“, erklärt Adrian Thiessen, „sondern auch um die Einbindung erfahrungsbasierten Lernens und kultureller Faktoren.“ Digitale Trainings sind im Berufsalltag praktischer, flexibler und erfüllen mittlerweile auch die Erwartungen der Mitarbeitenden. „Viele sind schon aus der Schule Lern-Apps gewohnt“, sagt Thiessen. Kurze Lerneinheiten, die gezielt Wissen vermitteln, entsprächen heute am ehesten den Nutzungsgewohnheiten. Da es gerade im Gesundheitsbereich eine große Vielfalt an Generationen und kulturellem Background gebe, ist auch eine leichte Sprache und Verständnis für die Kultur im Unternehmen wichtig. „Die einzelnen Prozesse müssen sorgfältig geschult werden : Durch das E-Learning haben alle die gleiche Grundlage, danach geht es um das praktische Üben“, so Thiessen. Unbedingte Grundlage : Die Prozesse im Unternehmen sind dokumentiert und die Datengrundlage ist auf dem neuesten Stand. Nur so kann Wissen aus dem Unternehmen weitergegeben werden.

›› Präsensseminare allein stoßen heute oft an ihre Grenzen. ‹‹
Adrian Thiessen, Geschäftsführer des Weiterbildungsanbieters Relias Learning GmbH
Damit die Lernenden ihr Pensum erledigen, helfen digitale Reminder-Funktionen und auch ganz reale Vorteile. „So können Lern-Münzen zum Beispiel auch mal in ganz reale Mittagessens- Münzen umgewandelt werden“, erklärt Thiessen. Die Zukunft sieht er in KI-gestützten Lernpfaden, die sich automatisch an individuelle Profile anpassen. „Wissensvermittlung ist das eine, aber Softskills sorgen erst dafür, dass das Wissen auch professionell angewendet wird. Dazu gehört zum Beispiel, dass Erfahrungswissen geteilt wird und die Unternehmenskultur es erlaubt, dass sich Mitarbeitende zu Themen austauschen und voneinander lernen.“
Bildungspartner auf Augenhöhe: Die Rolle der Ausbildungsbetriebe
Neben Technologie braucht es vor allem eines: eine lernförderliche Unternehmenskultur. Das bestätigt auch Christoph Kahlenberg, Leiter der Randstad-Akademie. Mit der Akademie unterstützt das Unternehmen seit 2008 Mitarbeitende und Arbeitsuchende bei ihrer Qualifizierung. Über 800 virtuelle Kurse ermöglichen zeit- und ortsunabhängiges Lernen – auch für Mitarbeitende von Kundenunternehmen, denen viele Kurse ebenfalls offenstehen. Bei der Zusammenarbeit mit verschiedenen Bildungsträgern erweist sich das digitale Format als unbedingter Vorteil. Für Ausbildungsbetriebe sieht Kahlenberg vor allem zwei Herausforderungen: „Zum einen ändert sich der Content im Arbeitsalltag sehr schnell. Die Ausbildungspläne hinken da naturgemäß hinterher. Daher ist es wichtig, dass relevante Inhalte in Form von Weiterbildungen vermittelt werden. Zum anderen wird der Spagat zwischen Theorie und Praxis immer anspruchsvoller. Betriebe können ihre Azubis auch nicht unbegrenzt freistellen für weitere Lerneinheiten. Daher brauchen wir flexible Lösungen. Zum Beispiel Lerneinheiten in kleinen Häppchen, die in den Arbeitsalltag integriert werden können.“

›› Der Spagat zwischen Theorie und Praxis wird immer anspruchsvoller. ‹‹
Adrian Thiessen, Geschäftsführer des Weiterbildungsanbieters Relias Learning GmbH
Kahlenberg betont die Bedeutung von klaren Verantwortlichkeiten. Im Unternehmen herrscht idealerweise eine aktive Lernkultur. Das heißt, dass in den einzelnen Bereichen Weiterentwicklungen erkannt werden und sich jemand insgesamt für die Wissensvermittlung verantwortlich fühlt. Meist geschieht das in der Personalabteilung. In Jahresgesprächen können beispielsweise auch individuelle Vereinbarungen zur persönlichen Weiterbildung getroffen werden. „Dies funktioniert nur, wenn Lernen im Betrieb wertgeschätzt wird. Denn das ist kein ‚Nice-to-have‘, sondern ein zentraler Erfolgsfaktor.“
Hybrid, individuell und praxisnah
Digitalisierung verändert nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch das Lernen. Erfolgreiche Ausbildungskonzepte brauchen heute mehr als gute Inhalte. Relevanz, Praxisbezug und Flexibilität sind die Grundvoraussetzungen. „Es geht nicht um das Entweder-oder von Präsenz und Digital“, sagt Adrian Thiessen. „Sondern um ein Sowohl-als-auch – mit dem Ziel, Menschen bestmöglich auf ihre Aufgaben in einer dynamischen Berufswelt vorzubereiten.“
Erfolgsfaktoren für digitales Lernen
1. Cloud-Learning: Orts- und zeitunabhängiges Lernen
2. Individuelle Lernstufen möglich
3. Gamification-Ansätze sorgen für höhere Motivation und direktes Feedback
4. Inhalte orientieren sich an Ausbildungsrichtlinien
5. Softskills sorgen für Lernerfolg
6. Dokumentation des Wissens und der Prozesse im Betrieb unerlässlich
7. Kürzere Lerneinheiten lassen sich besser in den Berufsalltag integrieren
8. Klare Verantwortlichkeiten für Weiterbildungen nötig